Dienstag, 22. Mai 2007

Kontinuität und Wandel

Herr Kupka hat bereits ein paar Jährchen auf dem Buckel. Seine letzte Aktion im Namen des Staates ist im vorletzten Jahrhundert getätigt worden. Wie viele Gedenkstätten an ihn erinnern sollen, kann ich nicht sagen, letzte Woche sah ich immerhin einen Ort, an dem sein Name prangt. Genauer gesagt war es ein Straßenschild. Und ehrlicherweise dachte ich bei Betrachten des dunkelblau unterlegten Schildes mit weißer Aufschrift nicht an den mir damals unbekannten Politiker, sondern an einen anderen, jungen Mann, der im Gegensatz zu ihm noch unter den Lebenden weilen sollte (wollen wir alle mal hoffen). Im Rahmen des Projekts "Suche nach den Wurzeln" gelangte ich nämlich in besagter Woche an einen lang nicht mehr besuchten Ort der frühen Kindheit, wo ich anno dazumal viele Stunden im Sand, auf Wippen, Schaukeln, Fußballplätzen und Tiefgaragen-Lüftern verbracht habe: spielend mich des Lebens erfreuend. Aufkeimende nostalgische Gefühle beim Anblick der einstigen Spielplätze verschmolzen mit sinologischen Gedanken, mit einem Konzept, dem ich erst kürzlich durch die Beschäftigung mit David Wang's Essay "Imaginary Nostalgia: Shen Congwen, Song Zelai, Mo Yan, and Li Yongping" begegnet bin. Nostalgie und Exotismus - zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen, von innen und von außen, oder doch verwandtere Standpunkte, als man auf ersten Blick meinen sollte? Lu Xun sprach sich für ersteres aus, Herr Wang legte mir Schlüssiges dar: die Anlage des Spielplatzes, die Wiesen, Beete, Gebüsche, Parkbänke, Brunnen und Spielgeräte liefern vertraute Sinnesreize - und doch gelingt es mir nicht, den gleichen persönlichen Bezug zu den Objekten aufzubauen wie früher: manches hat sich dennoch verändert in den langen Jahren, die ich nicht dagewesen bin, die einstigen Kinder sind zu mündigen Menschen herangewachsen und bevölkern nicht mehr in gewohnter Weise die offenen Flächen des Parkes, die neuen Gesichter sind allesamt fremd, alte und gefährliche Spielgeräte wurden entfernt und durch kinderfreundlichere ersetzt, frische Blumen in andere Konstellationen wurden angepflanzt, die Tiefgarage hat einen Glas-überdachten Eingang erhalten... vertraute Grundelemente, aber Fremdheit und Distanzierung im Anblick. Um nicht allzu sehr auszuschweifen, verlasse ich den Park und stehe dann vor besagtem Straßenschild, in mich versunken. Langsam kristallisiert sich die Erkenntnis heraus, dass es immer schon so war. Ja, in der Volksschule, im Gymnasium, in der Tanzschule, auch auf der Universität zieht er sich wie ein roter Faden durch die Geschichte meines Lebens: der Prototyp. Und ein Vertreter dessen hat hinter dem Park, neben dem Straßenschild, das ich mit nostalgischen Blicken versehe, gewohnt.

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