Sonntag, 3. Oktober 2010

Der Weg in die Arbeit II

Noch nie habe ich den täglich erforderlichen Weg in die Arbeits- oder Studienstelle so genossen wie jenen im September. Die vielen Stationen mit der Bahn mögen einem auf den ersten Blick langwierig und anstrengend erscheinen, doch mit der Zeit kommt der Genuss an der Fahrt. Ich wohnte südlich von Stockholm in einer Einfamiliensiedlung mit bunten, hölzernen Häuschen, eines nach dem anderen, umgeben von kleinen Gärten, die auf ordentliche, schmale Gehsteige hinausschauen, mit quasi nicht existentem Verkehr, eine weite Sicht zum Horizont, viel Himmel und viel Wald. Während der ersten paar Stationen gen Norden verändert sich das Bild nicht stark, die Gleise sind gesäumt mit Sträuchern und Baumalleen, deren Blattgrün in der morgendlichen Sonne frisch leuchtet, frischer als ich es aus meiner Heimat in Erinnerung habe, kontrastiert von dem strahlenden Blau des Himmels, nicht tief-, nicht dunkelblau, sondern so blau wie das Blau meines Blogs. Minutenlang gleitet die Bahn leise vor sich hin durch die grüne Natur, bis sich plötzlich der Blätterwald lichtet und man erstmals mehrere hundert Meter freie Sicht auf die Stadt hat. Gleichzeitig erkennt man, dass die Gleise nunmehr auf einer Brücke gelegen sind, die viele Meter hinunterschaut, man kreuzt eine andere Brücke, wird gekreuzt von einer weiteren Brücke, findet sich inmitten von Betonpfeilern über und unter verkehrsreichen Straßen. Ganz unten, 20, 30 Meter tiefer kräuseln sich die Wellen um angelegte Boote, erstreckt sich ein Wasserlauf in östlicher und westlicher Richtung kilometerweit.



Die wenigen Sekunden, während welcher man aus der Natur auftaucht wie aus einer Höhle ins Freie, gehören zu den Lieblingsmomenten der langen Fahrt. Danach beginnt das Städtische, danach dominiert aber nicht die Stadt, sondern gemäß der Regel "ein Drittel Stadt, ein Drittel Baum, ein Drittel Wasser" wechseln die Farben und Formen sich hinter der Fensterscheibe fröhlich ab. Es ist täglich ein Vergnügen, diesen Weg auf sich zu nehmen. Morgens begeistert das Farbenspiel der jungen Sonne, abends fasziniert die alternde Sonne: die Spitzen der Baumwipfel scheinen Feuer gefangen zu haben und leise vor sich hinzuglühen, das rötliche Licht wärmt die angestrahlten Häuser, Wege und Wände, alles erstrahlt in einem Schein, den ich von zuhause nicht kenne.

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