Gewohntes und Ungewohntes
Der Einstieg in das Sommersemester war ein voller Erfolg. In der ersten Lehrveranstaltung scheinen die Sinologen zeigen zu wollen, dass sie auch interdisziplinär lehren: neben chinesischen Romandichtern und Dramatikern werden Texte von Ferdinand de Saussure, Sigmund Freud und Karl Kraus durchgenommen. Während der Einführung in das Semesterprogramm vertreibt sich mein Sitznachbar die Langweile mit der Bildung von palindromischen Sätzen. Den Heimweg gehen wir gemeinsam an und ich erfahre, dass er aus dem 1. Semester ist, nur Sinologie macht und es vorerst einmal "easy" und "g'miatlich" angehen will. In der Bibliothek treffe ich einen molekularbiologischen Kollegen, den ich das letzte Mal in Dubai am Flughafen begrüßen konnte. Molekularbiologie auf Eis gelegt, in einer Woche geht es nach Korea, für ein halbes Jahr, Sprachniveau verbessern. In der zweiten Lehrveranstaltung treffe ich auf so manche alte Bekannte; Kollege M., der zum Inventar des Instituts dazuzugehören scheint, so lange ist er schon da. Er stellt fest, dass ich letztes Jahr in Afrika war. Ich falle aus allen Wolken, kläre ihn auf ("nur sieben Wochen") und wundere mich wieder einmal, wie Informationen herumreisen. Eine befreundete Zoologin lächelt immer noch so lieb wie früher. Der Quantenphysiker ist aus seiner Versenkung aufgetaucht. Die Professorin begeisterungsfähig, doziert interessant und in verstaubten Gehirnecken regen sich wieder Geister. Als die Anwesenheitsliste durch die Reihen geht und zu meinem Sitznachbarn kommt, wage ich es kaum, meinen Augen zu trauen, während ich seine Unterschrift bestaune: in seinen Adern fließt das blaueste Blut Österreichs.