Mittwoch, 7. Mai 2008

Targeting

Ich hatte mal etwas, das nannte sich Ziele. Kurzfristige Ziele, langfristige Ziele, einfache Ziele, winzige Ziele. Doch es ist lange her, dass ich das letzte Mal ein Ziel vor Augen hatte. Und ausgerechnet ein nicht besonders aufregender Film und eine böse Gestalt in einem Roman mussten mich kürzlich daran erinnern, dass es früher mal anders war, dass die Ziellosigkeit nicht mein ganzes Leben dominiert hat.
In dem Film ging es um ein Mädchen im Teenager-Alter, das alles dransetzt, ihren Traum zu verwirklich, nämlich: Prima-Ballerina in einer Aufführung zu sein. Sie opfert Zeit, Kraft und beinahe auch Liebe, um ihren Kindheitswunsch in Erfüllung gehen zu sehen. Am Ende erkennt sie, dass der Auftritt sie nicht so glücklich macht, wie sie erwartet hatte und geht zu ihrer Liebe zurück. Happy End. Der Film ist nicht besonders gut, aber er erinnert mich an etwas: an die Fähigkeit, seinen Zielen nachzusteigen, alles (oder sehr viel) dafür zu tun, um ihnen auch nur ein Schrittchen näher zu kommen. Fähigkeit zur Selbstaufgabe, zum Opfer, Besessenheit, Zielstrebigkeit, Konsequenz, Willensstärke, Überzeugung.
In dem Roman macht die weibliche Figur eine Vorzeige-Karriere und arbeitet sich beinahe zur höchsten Befehlsgewalt einer mächtigen Nation hoch - mit übermenschlichem Fleiß, harter Selbstdisziplin und Beherrschung. Scharfer Verstand, bestechende Logik, unermessliche Strenge (auch mit sich selbst) zeichnen sie aus, die nebenbei, so schreibt der Autor, auch noch sehr attraktiv ist, talentiert Klavier spielt und was weiß ich noch alles ausgezeichnet beherrscht. Ich kann es nicht so gut wie der Autor beschreiben, sondern lediglich bekräftigen, dass ich nach der Beschreibung ihrer Figur nur eines fühlte: Bewunderung. Dass sie sich am Ende doch nicht als der perfekte Mensch herausstellt, ist eine andere Facette der Geschichte.
Dennoch: diese beiden Menschen haben mich beeindruckt (und erst gerade fällt mir auf, dass sie beide Frauen sind, aber das könnte Zufall sein), so sehr sie auch Fiktion sind. Beeindruckt - und erinnert an Zeiten, wo es noch etwas anders war, wo man zumindest davon träumte, Verkäuferin zu werden, oder Malerin, oder Journalistin. Wo man vielleicht auch deswegen täglich Klavier übte, weil man beim jährlichen Klassenabend möglichst weit am Schluss spielen wollte: denn - das wusste jeder - der letzte Schüler hat nach Urteil der Lehrerin das größte Talent und entlässt alle Zuhörer mit schönen Erinnerungen in den Restabend. Und wenn man das mal geschafft hatte, dann galt es, möglichst weit hinten im Jahreskonzert der gesamten Musikschule dranzukommen, Applaus zu ernten, der einen immer wieder vor den Vorhang auf das Podest zurückrufen würde, für eine neuerliche Verbeugung vor dem begeisterten Publikum. Unwichtige Ziele.
Oder Zeiten, in denen man alles dransetzte, um einen möglichst großen Spendenbeitrag zur Rettung der Donauauen, sibirischer Tiger oder Regenwälder zu gewinnen: mit Ausstellungen, Buttons-Gestaltung und -Verkauf, Broschüren, Spielen, Schulfesten. Winzige Ziele.
Oder Zeiten, in denen man sich nichts mehr wünscht als dieses eine Ding, sei es ein Fahrrad, eine Kamera, eine Reise, eine seltene Briefmarke und alles dransetzt, sich die Groschen vom Taschengeld spart, um dieses Ziel zu erreichen. Diese Besessenheit von einem Traum, diese Zielstrebigkeit, mit der man versucht ihm nachzukommen, wo ist sie hin? Dieser Stolz, die Zufriedenheit, die sich ausbreitet, wenn man sich seinen Wunsch erfüllen konnte, ist es nicht mehr wert, für sie zu arbeiten?
Ich brauche nur hinter mich zu blicken und sehe Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und Besessenheit: hinter mir sitzt eine Pharmazeutin, was eher ungewöhnlich ist für ein molekularbiologisches Labor. Doch ein Leben kann seine Wendung nehmen, wenn plötzlich einer nach dem anderen in der Verwandtschaft an Krebs zugrunde geht - so wie bei ihr, die beschloss, dort arbeiten zu wollen, wo sie noch was verändern, etwas beitragen kann und so forscht sie seit einem Jahr und seit einigen Monaten sogar als Doktorandin am Thema Brustkrebs. Als Pharmazeutin, ohne theoretisches oder praktisches Vorwissen.
Blicke ich aber vor mich, sehe ich nur gähnende Leere: keine Ziele, keine Träume, nicht einmal unerreichbare. Dieser Blog dokumentiert das traurige Ersterben eines der letzten Ziele in meinem Leben; vor zwei Jahren schrieb ich in meine Vorsätze zum neuen Jahr, ich würde das Bakkalaureat beenden wollen, letztes Jahr schrieb ich es wieder, heuer habe ich lieber darauf verzichtet, es sonderlich in den Vordergrund zu heben: denn ich habe es immer noch nicht; es ist kein lang herbeigesehntes Ziel und mir mangelt es an Motivation, etwas dafür zu tun, mir fehlt es an einem Ziel, für das es sich lohnt, Anstrengungen auf sich zu nehmen.

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