Samstag, 20. August 2011

Reset

"Tschüß", sagte sie, drehte uns den Rücken zu und verließ vollbepackt den Raum. "Das war das letzte Mal, dass wir sie unverheiratet gesehen haben", stellt eine aufmerksame Kollegin fest - und das deutlich vor dem Termin für die standesamtliche sowie kirchliche Eheschließung, denn Heiraten ist zeitaufwändig, beinahe die Hälfte des Jahresurlaubs wird dafür verwendet: eine Woche vor der Trauung für die Vorbereitungen in Schuh- und Kleidergeschäften, Einrichtungshäusern, Parfumerien, Blumengeschäften, Druckereien, Restaurants, Kirchen, Friseursalons, bei Make-up-Artists, Freunden und Familienmitgliedern, eine gute Woche danach für die Verarbeitung der Geschehnisse auf spanischen Inseln, denn mir nichts dir nichts wird aus einem Mann und einer Frau von einer Stunde zur nächsten Mann und Frau, Gemahl und Angetraute, da können einen schon mal Zweifel plagen, ob man die richtige Entscheidung zur rechten Zeit getroffen hat. Grund erworben, Kinder eingeplant, nun fehlt nur mehr der Ring am Finger, doch wird sie meinen Nachkommen eine gute Mutter sein, kann sein Lohn unsere Bedürfnisse stillen? Die traditionelle Vorstellung von der Eheschließung lässt die Brautleute gewichtige Schwüre in heiligen Hallen leisten, unter strenger Beobachtung durch die Hochzeitsgäste, bezeugt von ihren Dutzenden Augen- und Ohrenpaaren. Und dennoch, als ob wir es mit amnestischen Freunden und Verwandten zu tun hätten, die vergessen, was sie vor Gott und mehr oder weniger langer Zeit sahen und hörten, lassen sich die vormals so glücklichen Immer-und-ewig-Liebenden nach durchschnittlich 10 Jahren dann doch von den Gegenargumenten überzeugen und brechen das begonnene Unternehmen in nicht ganz jedem zweiten Fall ab (Statistik Austria, 2010). Besser keine Ehe als eine unglückliche, besser selbstgewählte Unabhängigkeit als auferlegte Abhängigkeit. Heutzutage die Möglichkeit einer Scheidung zu haben, ist ein Segen (vermutlich aber nicht Gottes) und tut wahre Wunder: sie löst einst gegebene Versprechen, so bindend und irreversibel sie zum Zeitpunkt ihrer Formulierung schienen, in entlastendes Nichts auf und ermöglicht einen sauberen Neustart.

Mittwoch, 17. August 2011

Sommerloch

Eines Tages stand sie einfach da. Von zierlicher Statur, in ein grünes Mäntelchen gewickelt, umrahmten blonde Locken das prinzessinenhafte Antlitz, das mehr als nur Gewohnheit, ja, Selbstverständlichkeit ausstrahlte, bedient zu werden, und frech fragte der süße Mund: was machst du denn hier? Ich wohne hier, aber dich habe ich noch nie hier gesehen, konterte ich. Ihre hellblauen Augen verengten sich, dann sagte sie gnädig: ich wohne auch hier. Und so war es. Der dritte Tag ihrer Gegenwart ist angebrochen und sowohl unsere Vorratskammer als auch der Kühlschrank haben drastische Dichteerhöhungen in Kauf nehmen müssen: eine Naschkatze wie sie besteht natürlich auf Kakao am Morgen, Müsli-Erweiterungsprodukte mit Honig oder Zimt von einschlägigen Marken zu Mittag, Milchreis in allerlei Sorten am Abend als Nachspeise und Milchschnitten für jeden Geschmack und Anlass. Gesunde Ernährung? Hauptsache, es schmeckt. Sie, nennen wir sie Gloria, bringt Leben in die beinahe tote WG, auch durch ihre Nachtaktivität, die sie in frühen Morgenstunden in der Wohnung schlaflos unentwegt auf und ab laufen lässt. Rücksicht kenne sie keine, wie auch - Gloria ist drei Jahre alt. Ihr ständiger Begleiter: eine Babyflasche, an der ununterbrochen genuckelt wird, denn Dreijährige haben bekanntlich weder Zähne noch können sie bereits aus Gläsern trinken. Ihr Bett teilt sie mit meinem Mitbewohner "Adoptiv-Papa Bär", der morgens vor sich hinbrummelt, wenn sie munter und ungeachtet der ausgebliebenen nächtlichen Ruhe durch sein Zimmer tobt, und seiner Freundin, einer offenbar aufopfernden Leihmutter, die ihr jeden Wunsch von den Lippen abliest (Schokolade zum Frühstück? Kein Problem). Wer die unerzogenen Eltern dieses verwöhnten Kindes sind, bleibt mir vorläufig verborgen, aber sie dürften wohl Patentante und Patenonkel in so mancher Hinsicht ähnlich sein.