Sommerloch
Eines Tages stand sie einfach da. Von zierlicher Statur, in ein grünes Mäntelchen gewickelt, umrahmten blonde Locken das prinzessinenhafte Antlitz, das mehr als nur Gewohnheit, ja, Selbstverständlichkeit ausstrahlte, bedient zu werden, und frech fragte der süße Mund: was machst du denn hier? Ich wohne hier, aber dich habe ich noch nie hier gesehen, konterte ich. Ihre hellblauen Augen verengten sich, dann sagte sie gnädig: ich wohne auch hier. Und so war es. Der dritte Tag ihrer Gegenwart ist angebrochen und sowohl unsere Vorratskammer als auch der Kühlschrank haben drastische Dichteerhöhungen in Kauf nehmen müssen: eine Naschkatze wie sie besteht natürlich auf Kakao am Morgen, Müsli-Erweiterungsprodukte mit Honig oder Zimt von einschlägigen Marken zu Mittag, Milchreis in allerlei Sorten am Abend als Nachspeise und Milchschnitten für jeden Geschmack und Anlass. Gesunde Ernährung? Hauptsache, es schmeckt. Sie, nennen wir sie Gloria, bringt Leben in die beinahe tote WG, auch durch ihre Nachtaktivität, die sie in frühen Morgenstunden in der Wohnung schlaflos unentwegt auf und ab laufen lässt. Rücksicht kenne sie keine, wie auch - Gloria ist drei Jahre alt. Ihr ständiger Begleiter: eine Babyflasche, an der ununterbrochen genuckelt wird, denn Dreijährige haben bekanntlich weder Zähne noch können sie bereits aus Gläsern trinken. Ihr Bett teilt sie mit meinem Mitbewohner "Adoptiv-Papa Bär", der morgens vor sich hinbrummelt, wenn sie munter und ungeachtet der ausgebliebenen nächtlichen Ruhe durch sein Zimmer tobt, und seiner Freundin, einer offenbar aufopfernden Leihmutter, die ihr jeden Wunsch von den Lippen abliest (Schokolade zum Frühstück? Kein Problem). Wer die unerzogenen Eltern dieses verwöhnten Kindes sind, bleibt mir vorläufig verborgen, aber sie dürften wohl Patentante und Patenonkel in so mancher Hinsicht ähnlich sein.
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