Donnerstag, 19. Juni 2008

Wohnung: Casting

Insgesamt 22 Leute meldeten ihr Interesse an, eine Handvoll sagte doch wieder ab, 11 Leute sahen sich bisher die Wohnung tatsächlich an, der Rest erschien einfach nicht zum Termin oder antwortete nicht auf Terminvorschläge.
Vom ersten Besuchertag war ich enttäuscht: keiner überzeugte so richtig oder war mir auf Anhieb sympathisch, mit zweien hätte ich es mir im Notfall vorstellen können, begeistert war ich nicht, auch weil bis auf eine alle rauchten. Mit wenig Hoffnung ging ich in den zweiten Besuchertag, gestern, insbesondere, da von 5 Leuten zwei dabei sein würden, die 20 bzw. 21 Jahre alt sind, also noch am Anfang des Studiums stehen, wahrscheinlich andere Vorstellungen vom WG-Leben haben würden als mein Mitbewohner und ich. Doch ich wurde äußerst positiv überrascht. Gleich drei Bewerber waren mir ungemein sympathisch aus verschiedenen Gründen, die restlichen beiden hätte ich mir aber genauso als Mitbewohner vorstellen können. Die Erstsemestrigen wirkten sehr reif und erwachsen und ich würde mich freuen, mehr über sie zu erfahren. Die Entscheidung wird uns schwerfallen.

Sonntag, 15. Juni 2008

Wohnungspremiere

Zum ersten mal im Leben bin ich der Position, bei der Entscheidung über einen neuen Mitbewohner in der Wohngemeinschaft mitstimmen zu dürfen. Meine Mitbewohnerin zieht nämlich Ende des Monats aus ihrem 25 qm Zimmer in eine eigene Wohnung. Mein Interesse für ihr Zimmer war groß, doch der Geldbeutel zu klein und so kam es, dass ich heute von meinem Mitbewohner eine 18 Personen fassende Liste an Interessenten für das große, südseitig liegende Zimmer mit zwei neuen Fenstern in die Hand gedrückt bekam - samt ihren Bewerbungsemails. In zwei Tagen wollen wir sie einladen - alle, meint mein Mitbewohner und er ist sichtlich enttäuscht, dass sich lediglich so wenig Personen gemeldet haben. Ich bin eigentlich überrascht über die große Anzahl, aber ich habe auch keine Erfahrung. Wahrscheinlich ist es nicht einfach, unter 20 Leuten den oder die richtige(n) zu finden. Apropos den oder die: unter den 18 Interessenten sind nur zwei männlichen Geschlechts.
Ich scanne die Emails durch - manche sind kurz und bekunden nur Interesse, andere lang und erzählen viel von sich selbst, dem Studium, den Hobbies. Hinterhältigerweise tippe ich auch alle Namen in dem studentenweiten Netzwerk ein, das so beliebt geworden ist, und finde über die Hälfte der Bewerber dort. Aber man soll ja von solchen Profilen nicht auf den Charakter eines Menschen schließen. Also lese ich brav weiter die Emails und finde dennoch jemanden, den ich eigentlich nicht einladen würde, denn: die gute Dame raucht leider. Der Altersschnitt ist deutlich unter meinem Alter, die meisten sind in der Mitte bis gegen Ende des Studiums, hauptsächlich aus dem Publizistik-Psychologie-Soziologie-Bereich, eine plant allerdings, zufällig das gleiche wie ich zu studieren. Viele deutsche Staatsbürgerinnen. So wenig diese Emails über Persönlichkeiten aussagen, habe ich dennoch schon zwei Favoriten: No. 1 ist eine Dame und folgendes finde ich positiv: 25 Jahre, kocht gerne, kein Rauch und Tier, Internet-oholic (tut aber nichts zur Sache), ausgeprägter Ordnungssinn, wie sie schreibt. No. 2 ist ein Herr, 26 Jahre, kommt gerade aus einem Auslandsjahr, arbeitet bereits. Andere, die von ihrer Erwartung eines belebten WG-Lebens schreiben, bei dem man nicht aneinander vorbeilebt, betrachte ich mit mehr Argwöhn - ich denke, in dieser WG wollen wir alle nur unsere Ruhe, oder? Da kommt jemand, der berufstätig ist und selbst den ganzen Tag eingespannt (und Frühaufsteher) ganz gut. Naja, wie gesagt, keine Vorurteile, ohne die Leute erst gesehen zu haben, also laden wir alle ab übermorgen mal ein, auch die Raucherin, und interviewen sie.

Donnerstag, 5. Juni 2008

Kurzweil

Ja wüsstest du denn überhaupt genug mit deiner Zeit anzufangen, wenn du keine Uni, keine Arbeit, keine Verpflichtungen mehr hättest, 7 Tage die Woche, 16 Stunden am Tag nur Freizeit zur eigenen Verfügung, wurde ich gefragt. Zuerst zögerte und dachte mir innerlich: wohl nicht. Gar keine Verpflichtungen zu haben würde mich erlahmen, würde meinen Tagesablauf zu einer einzigen Durststrecke machen, an deren Ende ein heiß herbeigesehntes Treffen, ein Event, irgendeine Aktivität liegt. Ich würde vor einem Bildschirm mit Verbindung zum Internet dahinvegetieren, unnütze Informationen in mich aufsagen, in mein eigenes graues Kästchen starren, mich nicht loslösen können von der pixeligen Oberfläche.
Heute zweifele ich nicht: ich bin mir sicher, dass all die Zeit nicht ausreichen würde, das zu tun, was mich interessiert. Und das nur, weil ich gerade vielleicht 30 Minuten meine Gitarre gequält habe. Auf einmal fielen mir so viele Dinge ein, die ich jetzt gerne tun würde, wenn es nicht schon spät wäre; wenn ich nicht andere Verpflichtungen hätte: ich könnte eines der Bücher lesen, die seit 3 Wochen aus der Bibliothek ausgeliehen sich auf einem Stapel langweilen. Ich könnte überhaupt mal alle Bücher lesen, die ich besitze. Ich könnte mein Grammatik-Buch schnappen und ein bisschen chinesische Grammatik büffeln. Ich könnte mir eine chinesische Zeitung kaufen und mich zwei Stunden mit einem Wörterbuch hinter ihr vergraben, die Geheimnisse dieser rätselhaften Zeichen entschlüsselnd. Ich könnte neue Jongliermuster lernen. Ich könnte noch mehr Gitarre spielen. Oder Klavier, endlich wieder mal. Ich könnte das Buch mit der Herkunft arabischer Schriftzeichen herauskramen und das Alphabet lernen, etwas, das ich schon lange tun wollte. Ich könnte dauernd in die Oper gehen. Ich könnte in Wien herumlaufen und Photos von Ecken schießen, die auf mich ungewöhnlich wirken. Ich könnte überhaupt mal in Wien rumlaufen und Stellen besuchen, die ich womöglich nur vom Hörensagen kenne. Ich könnte mein Tanzbein schwingen, wenn die Oper zum xxx. Mal die Zauberflöte spielt. Ich könnte stundenlang am Bett liegend mit geschlossenen Augen Musik hören. Ich könnte einen Reiseführer nach dem anderen wälzen und mir Routen, Ziele, Länder ausmalen, die ich besuchen möchte. Ich könnte meine Pflanzen umtopfen. Ich könnte mir meine alten Videoaufnahmen ansehen, über 20 Stunden erinnerte und vergessene Vergangenheit sind auf unscheinbare Magnetbänder gebannt in einer Kiste irgendwo in meinem Zimmer versteckt. Ich könnte sogar schwimmen gehen, wenn ich nichts besseres zu tun wüsste. O ja, ich wüsste allerdings etwas mit meiner Zeit anzufangen. Zu guter Letzt könnte ich immer noch eine Kunstgalerie organisieren und meinen Ehemann mit dem Künstler der aktuellen Vernissage betrügen, so wie das in jedem fünften Hollywood-Film passiert. Nein, Frauen sollten an den Herd oder etwas Vernünftiges arbeiten, zu viel Freizeit ist schädlich. Ein Glück, dass das bei mir ganz sicher nicht der Fall ist.