Mittwoch, 21. September 2011

Lustig ist das Räumerleben

Da kommt man nach einem längeren, erschöpfenden Tag nachhause, wirft erst einmal den Wasserkocher an, um sich eine beruhigende Tasse Tee zu gönnen und muss dann erzürnt feststellen, dass die Bemühungen, sich einen Kräutertee zu brauen, vergeblich bleiben: die Packung, die am Vortag von den ursprünglich 48 wohl noch 20 Teebeutel gefasst hatte, ist verschwunden. Auch die Pfefferminzteeschachtel scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Selbiges lässt sich über den Langkornreis und die Oliven sagen, das Brot von vorgestern dürfte den heutigen Tag ebenso wenig überlebt zu haben: offenbar sind einer Räumungsaktion genau jene Lebensmittel anheimgefallen, die nicht dem Räumer, sondern mir gehören. Sehr rücksichtsvoll. Und ich kann nicht einmal nachfragen, weil bereits 22 Uhr ist und demnach alles friedlich in seinen Betten schlummert. Dabei wollte ich eigentlich noch den Tag meines Auszugs abwarten, ehe ich mich hier darüber beschwere, dass die Wohnung ohne mich wohl mit Plastik-, Metall- und Glasbehältern zugemüllt würde, mir als einziger bewusst ist, dass man keine Bierdosen in der Ökobox sammelt und die übrigen anscheinend der Meinung sind, dass wir es mit nachwachsenden Müllsäcken und nieendenem Geschirrspülmittel zu tun haben. Als letzteres doch einmal endgültig leer war und ich gedachte, meiner experimentellen Neigung nachzugehen und still beobachtend herauszufinden, wie viele Tage es dauern würde, ehe der Mangel auffällt, wurde kurzerhand einfach die Scheuermilch in die Küche gestellt und benutzt, mit der bis vor meinem Einzug mangels WC-Ente noch das Klo geputzt wurde. Alleine zu wohnen muss ein Segen sein und beherzt mache ich mich auf die Suche nach dem Eigenheim. Aber da war ja noch die Butter. Sie ist schuld, dass ich mich nicht so recht für Einsamkeit entscheiden möchte. Repräsentativ für all jene Dinge, die zu zweit oder mehrt schöner oder praktikabler sind, erinnert sie mich daran, dass meine Bereitschaft, dem mehr oder weniger sozialen Leben ein Ende zu setzen, noch nicht ausgereift ist. Zwar ist meine Missgunst über von meiner Haushaltsführung abweichende Gewohnheiten nicht abzustreiten, doch kann ich auch nicht leugnen, dass ein abendlicher Gute-Nacht-Wunsch einen gewissen immateriellen Wert aufweist, der mitunter zu erhöhter Lebensqualität beitragen kann. Anders ausgedrückt: Butter wird nicht ranzig, Kochen bereitet Freude und Schwarzwäsche geht sich häufiger aus als alle 4 Wochen. WG oder Whg, das ist heute die Frage.

Dienstag, 13. September 2011

Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast

Als ich neun Jahre alt war, schrieb mir meine damalige Lieblingsvolksschullehrerin zum Abschied mit ihrer Kalligraphie-Füllfeder in schwarzer Tinte zwei Sätze in mein Stammbuch:
Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
Weder kannte ich zu dieser Zeit den Text, dem diese Sentenz entnommen worden war, noch verstand ich in aller Vollkommenheit, was sie mir und der Verfasser dieser Zeilen uns, den anderen Menschen, sagen wollte. Heute lese ich einen Autor, der 1900 Jahre zuvor lebte, und finde mich in einer verwandten Unvollkommenheit wieder, denn was sich im Lateinischen so anhört,
oculis de homine non credo, habeo melius et certius lumen quo a falsis vera diiudicem; animi bonum animus inveniat.
bedeutet meiner bescheidenen Übersetzung nach etwas sehr Ähnliches: den Augen glaube ich nicht über den Menschen [i.e., wenn es um den Menschen geht], ich habe ein besseres und zuverlässigeres (Augen)Licht, womit ich vom Falschen das Wahre unterscheiden kann; das Gute an einem Herzen möge das Herz [selbst] finden. Nur so viel oder wenig verstehe ich: beide sind der Ansicht, dass die Augen nichts taugen, um zu erkennen, wonach wir streben (Bedeutsames/Wahrheit) oder was gut ist; beide geben zu verstehen, dass lediglich ein Urteil durch die Seele (bzw. das Herz) uns verlässlich Aufschluss darüber geben kann, was wir im Hinblick auf unsere Umgebung in Erfahrung bringen wollen. Man sollte wohl dererlei Sprüche nicht aus ihrem Zusammenhang reißen (wie ich es tat), wenn man begreifen möchte, in welche Gedankenkonzepte sie eingebettet sind. Auf diese Art nebeneinander gestellt könnte man womöglich fälschlicherweise meinen, der eine habe sich vom Tisch des anderen bedient.

Samstag, 10. September 2011

Γνῶθι σεαυτόν [Nachtrag]

An einem strahlend schönen Samstagnachmittag wollte ich, gerade eben der Straßenbahn entstiegen, die letzten Dutzend Meter zu meiner Arbeitsstelle spazieren, als ich überraschend von hinten angetippt und angesprochen wurde. Um meine Erwartungshaltung zu begreifen, muss man wissen, dass die Straße, in der mein Ziel gelegen ist, a) relativ kurz und b) von wissenschaftlichen Zentren und Gebäuden gesäumt ist; viel anderes als dazugehöriges Personal wandert selten hier einher. Als ich also überraschend von hinten angetippt wurde, drehte ich mich um und blickte einem fremden Mann in sein fröhlich lächelndes Gesicht, etwa 45 Jahre alt, kräftig, mit blonden, struweligen Haaren und blauen, leuchtenden Augen, leger gekleidet in kurze Hosen und T-Shirt, in der Hand ebenso lässig einen Schlüsselbund schwingend.
Schon lange habe ich vermutet, dass genau solche Momente uns Aufschluss darüber geben, was wir uns im Verborgenen wünschen; Situationen, in denen man unerwartet angesprochen wird, ohne Vorahnung, was passieren könnte; Momente, in denen man beispielsweise einen überraschenden Brief in die Hand gedrückt bekommt ohne jegliche Vorstellung, wer der Absender sein könnte; aber, natürlich, mit einer gewissen Erwartungshaltung oder vielmehr Hoffnung ihn entgegennimmt. Da springt der Geist, zumindest meiner, sekundenbruchteilsschnell in den Gedanken herum und bleibt an innersten Wünschen und Hoffnungen für diese Augenblicke hängen; vielleicht nicht gleich Wünsche für das ganze Leben, aber für die aktuelle Lebenssituation dürften sie ausreichend repräsentativ sein. Umso mehr irritierte mich das Resultat des Herumspringens. Was waren also jene verborgensten, innersten Wünsche, die mir in jenem Moment an einem sommerlich-sonnigen Samstagnachmittag im Wonnemonat Mai gewahr wurden?
In den ein, zwei Sekunden, die ich Zeit hatte zwischen meinem Umdrehen und seinem Sprechen schossen mir nur zwei Gedanken durch den Kopf: 1) er ist ein Gruppenleiter, der auf mich aufmerksam geworden ist und mir eine Stelle anbieten will oder 2) er ist der Besitzer des auf Hochglanz polierten blau und silbrig glitzernden Oldtimer-Motorrads, das ich jedes Mal, wenn ich die Straße betrete, mich wundernd, welchem Studenten, Lehrenden oder Forschenden es wohl gehören könnte, be-wundere, ihn ehrt mein Interesse und er will mir eine Spritztour anbieten. Innerlich kopfschüttelnd über die ungewöhnliche Zusammenstellung an Möglichkeiten hörte ich mir geistesabwesend das Angebot an, das jener Mann mir dann in Wirklichkeit machte, schlug daraufhin imaginäre Hände über einem imaginären Kopf zusammen, lehnte höflich, dankend und enttäuscht ab und zog in Gedanken versunken von dannen.

Freitag, 2. September 2011

Spes 2/2: too high?