Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast
Als ich neun Jahre alt war, schrieb mir meine damalige Lieblingsvolksschullehrerin zum Abschied mit ihrer Kalligraphie-Füllfeder in schwarzer Tinte zwei Sätze in mein Stammbuch:
Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
Weder kannte ich zu dieser Zeit den Text, dem diese Sentenz entnommen worden war, noch verstand ich in aller Vollkommenheit, was sie mir und der Verfasser dieser Zeilen uns, den anderen Menschen, sagen wollte. Heute lese ich einen Autor, der 1900 Jahre zuvor lebte, und finde mich in einer verwandten Unvollkommenheit wieder, denn was sich im Lateinischen so anhört,
oculis de homine non credo, habeo melius et certius lumen quo a falsis vera diiudicem; animi bonum animus inveniat.
bedeutet meiner bescheidenen Übersetzung nach etwas sehr Ähnliches: den Augen glaube ich nicht über den Menschen [i.e., wenn es um den Menschen geht], ich habe ein besseres und zuverlässigeres (Augen)Licht, womit ich vom Falschen das Wahre unterscheiden kann; das Gute an einem Herzen möge das Herz [selbst] finden. Nur so viel oder wenig verstehe ich: beide sind der Ansicht, dass die Augen nichts taugen, um zu erkennen, wonach wir streben (Bedeutsames/Wahrheit) oder was gut ist; beide geben zu verstehen, dass lediglich ein Urteil durch die Seele (bzw. das Herz) uns verlässlich Aufschluss darüber geben kann, was wir im Hinblick auf unsere Umgebung in Erfahrung bringen wollen. Man sollte wohl dererlei Sprüche nicht aus ihrem Zusammenhang reißen (wie ich es tat), wenn man begreifen möchte, in welche Gedankenkonzepte sie eingebettet sind. Auf diese Art nebeneinander gestellt könnte man womöglich fälschlicherweise meinen, der eine habe sich vom Tisch des anderen bedient.
2 Comments:
Sed etiam si omnia a veteribus inventa sunt, hoc semper novum erit, usus et inventorum ab aliis scientia ac dispositio. Animi remedia inventa sunt ab antiquis; quomodo autem admoveantur aut quando nostri operis est quaerere. Multum egerunt qui ante nos fuerunt, sed non peregerunt.
Epistulae morales ad Lucilium (Liber VII)
Ach was, alles platonische Fußnoten. ;)
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