Samstag, 31. März 2012

Märkte

Die Höhle war nicht tief, jedoch ungewohnt hoch, und nach oben hin liefen die Wände, die sich wie eine Mischung aus Samt und Fleece, beinahe wie Filz anfühlten, spitz zu. Vollkommene Dunkelheit umgab die fünf Fühler, die sich langsam und vorsichtig in das Innere vortasteten. Am Boden lag etwas, das zunächst Ähnlichkeit mit ein paar losen Blättern aufwies. Bei genauerer Untersuchung stellten sie aber fest, dass der Fund hinsichtlich Substanz, Härte, Struktur und Flexibilität mehr Verwandtschaft mit Spielkarten hatte, wenn auch die Längsseiten länger und die Breitseiten schmäler als gewöhnlich waren. An einer der beiden Breitseiten entdeckten sie mittig ein kleines Loch, etwa einen halben Zentimeter vom Rand entfernt, durch diese Ausstanzung war eine Kordel, eine elastische Schnur durchgefädelt und an der Karte selbst verknotet worden, während die Enden lose in der Höhle herumlagen. Das Aufkeimen einer vagen Erinnerung wurde überschattet von einer plötzlichen Erkenntnis. Überrascht zogen sich die Fühler aus dem Inneren zurück und verfielen in jene Apathie, die es der Steuereinheit ermöglichte, dem Natürlichen seinen Lauf zu lassen.

Freitag, 16. März 2012

Alte Muster

Irgendwann musste es einfach eintreten. Ich wäre nicht ich, wenn es ausbliebe. Es ist das, was mich charakterisiert und gleichzeitig das, was diesen Blog am Leben erhält; ein Widerspruch. Ich bin neutral und bar jeder Meinung, unkommentiert und scheinbar wertungsfrei lasse ich die Geschehnisse dieser Welt an mir vorüberziehen. Sie ist vorsichtig, manchmal spöttisch, immer übertrieben, bisweilen, wenn ich es auch zu vermeiden versuche, vielleicht verletzend: die Kritik, die untergründige Wertung in meinem Blog; etwas, das bei einer persönlichen Begegnung mit mir zumeist nur einem sehr aufmerksamen Beobachter oder einem guten Freund auffällt. Einer sagte mir mal, er liebe diesen Blick, die verborgene Missgunst, die aus meinen Augen spricht, wenn ich lediglich mit ihnen eine mir unsympathische Situation bewerte, kein Wort formen die Lippen, keine Neigungen verraten die Gesichtsmuskeln, allein der Ausdruck der Augen und die Bewegungen der Augenlider sprechen für den mit ihnen Vertrauten Bände.
Ich setze an, meine Wohnsituation zu kritisieren. Es musste eintreten, denn ich bin der ewig Unzufriedene, der einen Mangel, einen Makel an allem finden kann. Erinnern wir uns: In der aktuellen WG hält es mich nun schon ein paar Monate, dank bereits beschriebener Vorzüge. Die Rücksichtslosigkeit, mit der die Gäste meines Mitbewohners einst die gemeinsamen Gemächer verunstalteten, ist vergessen und verziehen. Einem Neustart stand nichts im Wege. Doch ohne dass ich gezielt nach Fehlern suchte, sprang mir einer nach dem anderen ins Auge und verwurzelte sich in meinem Sinn. Im Winter häuften sich die von der Straße mitgebrachten Steinchen neben den Schuhen. Jede zweite Woche wurden sie von mir zusammengekehrt und entfernt, jede andere Woche blieben sie liegen, denn Staubsaugen bedeutet offenbar, mit der Maschine lediglich über die leeren Flächen zu fegen, dort, wo bereits Schuhe liegen, blieb alles unberührt. Den Müll bringt er vorbildlich hinunter, wenn es nötig ist; in seinen Hausschuhen flitzt er das Stiegenhaus hinunter in den Hof, stapfte im Winter durch den knöchelhohen Schnee bis zu den Mülltonnen und zeigte mir kurz danach quer über den Kachelboden der Küche in kleinen gräulichen Pfützen an, welchen Weg er zurück ins Zimmer genommen hatte. Mir fiel auf, dass zwar in jedem Raum ausschließlich dafür zu benutzende Reinigungstücher aufbewahrt wurden, doch stellte sich heraus, dass dies ein Relikt der Vormieterin war, denn außer mir benutzte sie niemand. Jede Woche wusch ich Geschirrtücher, Handtücher und Badematten, verzichtete die WG mal eine Woche auf meine Anwesenheit, kümmerte sich niemand um den Hygienestatus dieser Textilien. Mein Mitbewohner hielt sich zweifellos und vorbildlich an die ausgemachte, wöchentlich wechselnde Putzordnung, aber sein Verständnis von Sauberkeit deckte sich mit meinem nur teilweise. Zwei Waschbecken - zwei Spiegel, jede zweite Woche reinigte ich jenen meines Mitbewohners, den er regelmäßig mit Zahnpasta, Essensresten und Speichel bespritzte, jede andere Woche änderte sich nichts an der befleckten Reflexion, die einem entgegenstarrte, wenn man sich selbst suchte. Er ist durchaus einsichtig, wenn ich ihn auf das eine oder andere aufmerksam mache, aber Selbsterkenntnis scheint nicht seine Stärke zu sein.

Montag, 5. März 2012

Dünnes Eis

Haufen aus Sand reihen sich neben solche aus gebündelten Holzplanken. Ein Gabelstapler rumpelt über den Asphalt. Der Platz ist leer und weit, wie lange hat es das nicht mehr gegeben. Die Besucher, die tags zuvor noch durch das Schmelzwasser tollten und rollten, sind gegangen, um den Frühling in ihre Arme zu schließen. Kein einziges Mal bin ich heuer selbst hier gewesen, obwohl der tägliche Anblick mich allzu oft an die wenigen, aber einprägsamen Momente, ich stets ungeschickt auf Kufen, erinnern ließ.