Freitag, 16. März 2012

Alte Muster

Irgendwann musste es einfach eintreten. Ich wäre nicht ich, wenn es ausbliebe. Es ist das, was mich charakterisiert und gleichzeitig das, was diesen Blog am Leben erhält; ein Widerspruch. Ich bin neutral und bar jeder Meinung, unkommentiert und scheinbar wertungsfrei lasse ich die Geschehnisse dieser Welt an mir vorüberziehen. Sie ist vorsichtig, manchmal spöttisch, immer übertrieben, bisweilen, wenn ich es auch zu vermeiden versuche, vielleicht verletzend: die Kritik, die untergründige Wertung in meinem Blog; etwas, das bei einer persönlichen Begegnung mit mir zumeist nur einem sehr aufmerksamen Beobachter oder einem guten Freund auffällt. Einer sagte mir mal, er liebe diesen Blick, die verborgene Missgunst, die aus meinen Augen spricht, wenn ich lediglich mit ihnen eine mir unsympathische Situation bewerte, kein Wort formen die Lippen, keine Neigungen verraten die Gesichtsmuskeln, allein der Ausdruck der Augen und die Bewegungen der Augenlider sprechen für den mit ihnen Vertrauten Bände.
Ich setze an, meine Wohnsituation zu kritisieren. Es musste eintreten, denn ich bin der ewig Unzufriedene, der einen Mangel, einen Makel an allem finden kann. Erinnern wir uns: In der aktuellen WG hält es mich nun schon ein paar Monate, dank bereits beschriebener Vorzüge. Die Rücksichtslosigkeit, mit der die Gäste meines Mitbewohners einst die gemeinsamen Gemächer verunstalteten, ist vergessen und verziehen. Einem Neustart stand nichts im Wege. Doch ohne dass ich gezielt nach Fehlern suchte, sprang mir einer nach dem anderen ins Auge und verwurzelte sich in meinem Sinn. Im Winter häuften sich die von der Straße mitgebrachten Steinchen neben den Schuhen. Jede zweite Woche wurden sie von mir zusammengekehrt und entfernt, jede andere Woche blieben sie liegen, denn Staubsaugen bedeutet offenbar, mit der Maschine lediglich über die leeren Flächen zu fegen, dort, wo bereits Schuhe liegen, blieb alles unberührt. Den Müll bringt er vorbildlich hinunter, wenn es nötig ist; in seinen Hausschuhen flitzt er das Stiegenhaus hinunter in den Hof, stapfte im Winter durch den knöchelhohen Schnee bis zu den Mülltonnen und zeigte mir kurz danach quer über den Kachelboden der Küche in kleinen gräulichen Pfützen an, welchen Weg er zurück ins Zimmer genommen hatte. Mir fiel auf, dass zwar in jedem Raum ausschließlich dafür zu benutzende Reinigungstücher aufbewahrt wurden, doch stellte sich heraus, dass dies ein Relikt der Vormieterin war, denn außer mir benutzte sie niemand. Jede Woche wusch ich Geschirrtücher, Handtücher und Badematten, verzichtete die WG mal eine Woche auf meine Anwesenheit, kümmerte sich niemand um den Hygienestatus dieser Textilien. Mein Mitbewohner hielt sich zweifellos und vorbildlich an die ausgemachte, wöchentlich wechselnde Putzordnung, aber sein Verständnis von Sauberkeit deckte sich mit meinem nur teilweise. Zwei Waschbecken - zwei Spiegel, jede zweite Woche reinigte ich jenen meines Mitbewohners, den er regelmäßig mit Zahnpasta, Essensresten und Speichel bespritzte, jede andere Woche änderte sich nichts an der befleckten Reflexion, die einem entgegenstarrte, wenn man sich selbst suchte. Er ist durchaus einsichtig, wenn ich ihn auf das eine oder andere aufmerksam mache, aber Selbsterkenntnis scheint nicht seine Stärke zu sein.

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