Mittwoch, 24. November 2010

Renommee

Damals war ich wirklich geehrt. Nach guten zwei Monaten eigener Erfahrungen komme ich nicht umhin, mich noch geehrter fühlen zu müssen als ohnehin schon. Die gesamte Umgebung versucht einem weiszumachen, dass es ein Privileg ist, hier zu studieren. Zwei Mal pro Woche hört man im (englischsprachigen) Radio eine Reportage über eine wiederholt geniale Erfindung oder Entdeckung, die an meinem Institut kürzlich gemacht wurde, immer in besonders wichtigen Gebieten wie Diabetes, Autismus, Alzheimer, Parkinson. Meine Vermieterin hat mir gegenüber schon mehrmals betont, dass es für einen schwedischen Studenten ungemein schwierig ist, in meinem Institut aufgenommen zu werden, dass man danach zur "Elite" zählen würde. Ein Kollege, ein PostDoc, berichtet mir, mit einem Abschluss von unserem Institut würde man weltweit mit offenen Armen aufgenommen werden, er selbst kenne mehrere ehemalige PhD-Studenten, die nun in Harvard forschen. Wenn ich vormittags in der Küche/Pausenraum einen Tee zubereite, kommt es häufig vor, dass eine weißhaarige, gebrechliche Dame hereinstakst, verwirrt ihr Frühstück zubereitet, langsam, als hätte sie alle Zeit der Welt. Mit ihr kann man die ungewöhnlichsten Gespräche über die Geschichte des Instituts führen, arbeitet, forscht, ja, lebt sie hier schon über 60 Jahre und hat ganz nebenbei das Immunsystem um die NK-Zellen bereichert (Molekularbiologen kennen die Bedeutung dieser Entdeckung). Letztens hieß es "pscht, pscht, der Typ hinter uns hat p53 entdeckt" - ja, auch er gehört zum Professorenstamm dieses Instituts. Womöglich passiere ich täglich noch viel mehr Größen der Wissenschaft ohne es zu bemerken. Gestern, wieder mal im Pausenraum, quatscht ein mir unbekannter Kollege dieses so berühmten Instituts mich an, nachdem er kurz seine eigene Arbeit, Rho-GTPasen in der Metastasierung, vorgestellt hat: bei wem ich den arbeiten würde. Oh! Natürlich, wer kennt deinen Professor nicht, eine Größe in der Parasitenforschung! Der letzte Vorfall machte mich endgültig skeptisch: sind all diese Menschen voll Lob und Preisung nur bezahlte Schauspieler, die mir das Leben am Institut schmackhaft machen wollen?

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