Montag, 31. Januar 2011

Müll I

Die schwedische Bevölkerung sieht sich als besonders umweltbewusst im europäischen Vergleich. Mülltrennung ist groß angesagt, Recycling ein Thema. So habe ich in meiner neuen, eigenen Wohnung gleich von Anfang begonnen, PET-Flaschen, Plastikbehälter, Dosen, Gläser, Altpapier etc. getrennt vom Hausmüll aufzuheben. Vor dem Haus befindet sich ein Abfallhäuschen, in dem normaler Müll und Papier entsorgt werden können. Für den Rest muss man eine Recyclingstelle, meist in einem Supermarkt gelegen, aufsuchen. Also packte ich eines schönen, sonnigen Sonntags ergo gestern das erste Mal meinen Rucksack voll mit wiederverwertbarem Müll und machte mich auf einen 15-minütigen Fußmarsch zum geographisch am nächsten gelegenen Supermarkt, durch Betonbauten, halbindustrielles Gelände, über eine Brücke, unter der Autobahnen und Eisenbahnen kreuzen, über Baustellen und Parkplätze. Immerhin lohnt sich die Reise, denn der Supermarkt wartet mit einer Dimension und Auswahl auf, die ihresgleichen sucht. Wenn man, wie ich, regelmäßig genau zwei Produktgruppen kauft, nämlich Gemüse und Milchprodukte, dann hat man quasi den schwarzen Peter gezogen: sie befinden sich in der jeweils gegenüberliegenden Ecke des Supermarktes und da er so riesig ist, dauert es ohne Einkaufswagen 1 Minute 10 Sekunden (Stoppuhr) von der Gemüseabteilung bis zum Kühlregal. Letztens, mit Müll am Rücken, suchte ich allerdings zunächst die Recyclingstelle auf. In diesem Raum befanden sich zahlreiche Container für Papier, Glas (gemischt), Haushaltsmüll, Glühbirnen, Batterien, und automatische Annahmstellen für pfandpflichtiges Gut. Nachdem ich das meiste vernünftig entsorgt hatte, blieben mir 7 Konservendosen, aber kein Container dafür. Ich hielt einer anderen Kundin meine Plastiktüte mit den Dosen unter die Nase und fragte: wohin damit? Sie blickte misstrauisch erst mich, dann den Plastiktüteninhalt an und antwortete: nicht hierhin. Ich zog die Augenbrauen hoch und fragte: gut, wohin dann? Sie wiederholte ungeduldig: nicht hier, und ging ihres Weges. Durch die besonders aufschlussreiche Antwort irritiert spielte ich kurz mit dem Gedanken, die verbleibenden Dosen einfach in den Haushaltsmüll zu befördern, aber dann setzte sich doch das gute Gewissen durch und ich machte mich auf die Suche nach einem Supermarkt-Angestellten. Schnell fand ich jemanden und hielt ihm die Plastiktüte entgegen: wohin damit? Er warf einen Blick hinein und meinte: wir haben keine Sammelstelle für so etwas. Stirnrunzelnd wollte ich fast nachfragen, aber da kam er mir zuvor: ich nehme das an mich. Sprachs und verschwand mit meiner Plastiktüte in den Tiefen des Supermarktes. Kunden- oder "Verwirrter-Ausländer"-Service?

Freitag, 21. Januar 2011

Five more to go

Der Anblick stimmt mich melancholisch. Eigentlich ist es kein Anblick, denn es gibt nichts zu sehen. Mein Auge starrt auf einen leeren Fleck, der Gegenstand des Betrachtens ist wie vom Erdboden verschwunden. Kein Schatten, kein Rückstand: alles ist wirklich weg. Viele Jahre haben sie mich begleitet, die Handgriffe vereinfacht, den Alltag unterstützt, mein Leben versüßt oder genüsslich gemacht. Einen ganzen Karton hatte ich davon, aus Metall, Porzellan, Glas, Holz schmückten sie lange Zeit mein bescheidenes Zuhause, wo es mich auch hinverschlug. Die Zeit der Anhänglichkeit ist nun vorüber. Heute hatte ich geladen zu einem Feste, das den Gästen gestattete, sich Souvenirs mitzunehmen - und mich dadurch um eine Umzugskiste mit Küchenausstattung zu erleichtern.

Donnerstag, 6. Januar 2011

Glücklich allein

Egmonts Klärchen klopft an meine Türe und spottet:
Wo warst du so lange?
Ich habe dich vermisst,
deinen Hass auf die Liebe,
deine Abneigung gegenüber Abhängigkeit,
deinen Protest gegen Romantik,
deinen Widerstand gegen Nähe,
deinen Kampf gegen Gemeinsamkeit,
dein sinnloses Sträuben,
dein vergebliches Wehren.

Wo du Glück fandest, warfst du es fort. Sauer sind die Trauben, nicht wahr?

Mittwoch, 5. Januar 2011

2010 - eine Odyssee

Es war ein dankbares Jahr voller Reisen und neuer Erfahrungen; es war ein erfülltes Jahr mit viel Stress und schweren Entscheidungen. Wenn ich die Monate Revue passieren lasse, kann ich kaum glauben, dass sich all dies in nur 52 Wochen abgespielt haben soll, nicht weil so viel passiert ist, sondern weil alle bisherigen Jahre deutlich ereignisloser abgelaufen sind.

Im Januar besuchte ich das erste Mal die britische Hauptstadt, eine eiskalte, aber überwältigende Metropole. Im nächsten Monat reiste ich in das wunderschöne Barcelona, prachtvoller, als ich es mir je ausgemalt hätte. Drei Tage später flog ich für ein Vorstellungsgespräch nach in die Stadt der Liebe, mit der Aussicht auf ein Leben dort. Im März bereiste ich wiederum Paris für ein Interview, gute zwei Wochen später flog ich über Dubai nach Dar Es Salaam, über Stonetown nach Chake Chake, Pemba, Zanzibar, Tansania. Im April verließ ich das Land nie, aber die Insel oft. Im Mai flog ich für ein Vorstellungsgespräch von Tansania nach Stockholm, von Stockholm nach Oxford, von Oxford nach Marburg, spazierte als Tourist durch Frankfurt und interviewte in Heidelberg. Über Doha ging es innerhalb weniger als zwei Wochen wieder zurück nach Tansania. Im Juni und Juli flog und reiste ich wiederum oft, verließ das Land jedoch nie: Stonetown, Bwejuu, Lushoto, Arusha, Serengeti, Dar. Im August flog ich nach Tanga, fuhr für ein paar Tage nach Nairobi, flog über Dubai nach Wien. Im September besichtigte ich Debrecen, reiste nach Bistriţa und Colibiţa in Rumänien und flog in der darauffolgenden Woche nach Stockholm, um dort zu leben. Zwei Wochen später fuhr ich mit der Fähre nach Helsinki und wieder zurück; blieb das erste Mal in diesem Jahr länger als ein Monat an einem Ort (Stockholm), doch flog ich dann schon Mitte November für ein paar Tage nach Wien. Ein knappes Monat später schiffte ich mich nach Tallinn ein und flog zwei Wochen danach zum dritten Mal in diesem Jahr nach Wien, wo ich den Wechsel eines sehr reiselustigen in ein neues, noch unbeschriebenes Jahr verbrachte.

2010 kündigte ich meinen ersten Arbeitsvertrag, lebte das erste Mal im (europäischen) Ausland, publizierte meinen ersten Artikel, lebte das erste Mal mit einem Haustier zusammen, bewarb mich für viele Doktoratsstellen, lernte im Meer zu schnorcheln, machte erste Erfahrungen mit Couchsurfing, indem ich bei fremden Leuten wohnte oder fremde Leute einlud, bei mir zu wohnen, lernte, was es bedeutet, Ausländer zu sein, fuhr das erste Mal auf einem Motorrad mit, fand eine Doktoratsstelle, betrat das erste Mal eine Geisterbahn, beendete meine erste Beziehung, lernte eine wahre Unmenge an neuen, teils liebgewonnenen Leuten in verschiedenen Ländern kennen, aß meinen ersten Hummer, erhaschte einen Blick in die Sprachenwelten zweier Länder, zog das erste Mal in eine eigene Wohnung.

Auch wenn ich immer "ich" geschrieben habe, sind die Erlebnisse und Reisen des letzten Jahres zumeist mithilfe vieler anderer Menschen entstanden, denen ich für all diese Möglichkeiten und Interaktionen in verschiedener Weise dankbar bin.