Dienstag, 29. März 2011

Frühlingsstimmen

In luftigen Höhen vor dem Fenster öffnen sich kleine Spargelspitzen: grün knospen an den Enden der scheinbar verdorrten Äste des Kastanienbaums Lebenszeichen aus. Es wird Frühling - aber nicht nur vor dem Fenster, sondern auch vor meiner Tür. Gegenüber wohnt A., ein angenehmer Zeitgenosse, da er praktisch nie anwesend ist. Arbeit, Studium und die neue, richtige, erstmals einzigartige und wahre Freundin nehmen all seine Zeit in Anspruch. Aber jene Freundin hat offenbar nun darauf bestanden, zu erleben, wie er selbst lebt, und so zerstörten bekanntes Turnschuhstapfen und neues Stöckelschuhtrippeln Ende letzter Woche die gewohnte Stille außerhalb meines Zimmers. Sie, eine kleine Blonde, geschminkt und aufgetakelt, aber schüchtern, seine Landsmännin, und er verbringen die Tage und Abende des Wochenendes hinter geschlossener Tür, verlassen ihr Reich selten, man hört und sieht nichts von ihnen bis auf einen kurzen Ausflug in die Küche, um zu erwartenden Hunger zu stillen. Sie hat Einzug gehalten in unsere WG. Sie ist romantisch, betörend, verständnisvoll, unterwerfend, tolerant, unabdinglich, lebensbejahend, verführerisch, leidenschaftlich, impulsiv, verzeihend: die Liebe.

Montag, 28. März 2011

Malerische Pluspunkte

Ich habe eine positive Eigenschaft: ich vergesse nicht.
Ich habe eine negative Eigenschaft: ich bin nachtragend.

WG-Mitbewohnerin N. malt ihr Zimmer aus - verständlich: es ist im Originalzustand auf der einen Zimmerwand orange und auf der anderen lachsfarben mit einem weißen Strich, der sich diagonal über die gesamte Fläche erstreckt - Stoff für Albträume. Dazu werden sämtliche wandnahen Objekte aus dem Raum verbannt, was nur zu meinem Übel auch das Internet, sprich Router und Modem, betrifft. Denn offenbar bin ich die einzige Person, die die Internetverbindung regelmäßig in Anspruch nimmt. Ob ich denn das Internet am Sonntag brauchen würde, fragte sie mich samstags. Ja, eigentlich schon, war meine Antwort - ich mache derzeit nicht viel anderes abgesehen von Internetrecherchen. Sie bot mir daraufhin an, dass sie die Geräte für eine Stunde abstecken würde, um den Bereich um die Steckdose ausmalen zu können. Internetsüchtig wie ich bin, musste ich das eigentlich großzügige Angebot widerstrebend annehmen. Doch mit Eintreffen des Sonntags hatte ich tagsüber glücklicherweise ohnehin andere Pläne. Als ich zurückkehrte, war niemand zugegen, auch das Internet nicht, das Zimmer duftete allerdings sanft nach frischer, weißer Wandfarbe. Die Situation gezwungenermaßen akzeptierend nahm ich den Mangel leicht betrübt zur Kenntnis, sollte mich jener jedoch nicht von einem geselligen Abend, wiederum außerhalb, abhalten. Als ich diesmal zurückkam, befanden sich N. und ihre Ausmalkollegen rauchend, schokofondue-ierend und sich dem Alkoholgenuss hingebend in der Küche. Das Internet war hingegen immer noch nicht zugegen. Ich wollte die fröhliche Runde nicht stören und ging resignierend zu Bett. Montagmorgen: kein Internet und keine Seele weit und breit. Ich fuhr 20 Minuten auf die Universität, um meine Emails abzurufen, war den ganzen Tag unterwegs, doch als ich abends zurückkam, war immer noch keine Veränderung eingetreten.
Dass es kein Internet gibt, stört mich hierbei deutlich weniger als die Tatsache, dass N. mir versichert hatte, sie würde das Internet nur eine Stunde abdrehen. Hätte sie gesagt: 2 Tage, hätte es mich kurz geärgert, aber nicht weiter gekümmert. Doch eine Stunde versprechen und dann nicht halten: das bringt bei mir Minuspunkte.

Ich habe eine negative Eigenschaft: ich bin nachtragend.
Wenn jemand mir sagt: ich werde x tun, dann warte ich auf die Erfüllung des Versprochenen, obwohl ich aus Erfahrung weiß, dass oft viele Dinge nur aus Höflichkeit geäußert werden.
Ich habe eine positive Eigenschaft: ich vergesse nicht. Wenn ich sage, ich werde x tun, dann wird es passieren, selbst wenn die Umstände, der Zeitpunkt der Tat mir ungelegen oder unangenehm erscheinen.

Dienstag, 22. März 2011

Nah am Wasser gebaut

Über Mitbewohner habe ich noch nie ein gutes Wort verloren. Meine Premierenrolle als sang- und klangloser Mitbewohner sollte mich erst im Februar dieses Jahres ereilen: 2 Wochen lebte ich in friedlicher Eintracht mit anfangs zwei Mitbewohnerinnen, etwas später gefolgt von zusätzlichen 4 Mitbewohnern, die teilweile offenbar Partner-Status hatten (oder auch nicht). Es war ein Paradies auf Erden, getrübt nur durch meine baldige Vertreibung in eine neue WG. Aber auch hier, wo ich bei weitem nicht ideale Zustände vorfinde, kann ich nicht umhin, mich über Aspekte der Lage oder der WG an sich zu freuen, obwohl vieles optimierungsbedürftig erscheint. Weder ein einzelner Raucher, fragwürdige Sauberkeitsverhältnisse, ein dunkles, da hofseitiges Zimmer und Renovierungsbedarf im ganzen Haushalt verleiten mich dazu, böse Worte über die drei Mitbewohner zu verlieren. N. ist jung, freundlich, aufgeschlossen, fröhlich, kooperativ und ähnlich sauberkeitsfanatisch wie ich: mit ihr putzte ich am ersten Abend von 21:00-2:00 sämtliche Oberflächen in der winzigen, aber total verdreckten Küche. A. lässt sich kaum sehen, da er Vollzeit studiert, Vollzeit arbeitet und das erste Mal, angeblich, richtig und ernsthaft verliebt ist. Bleibt nur noch K., der alle paar Wochen für ein paar Wochen auf "Urlaub" fährt, in seiner Funktion als gutaussehender, braungebrannter Sport- und Skilehrer. Sein Zimmer ist das spannendste: keine Fläche, die nicht frei von Kleiderstapeln ist, an Metallstangen hängen ordentlich aufgefädelt Anoraks in den buntesten Farben einer neben dem anderen, an der Wand lehnen ein Mountainbike und etwa 15 Paare Skier, unter dem Hochbett quetscht sich ein Kanu über Unmengen an Sportbekleidung: hier wohnt niemand, hier lagert jemand. Wenn er dann doch mal in der WG vorbeischaut, kann ich ihm nicht übelnehmen, dass gelegentlicher Damenbesuch nachts schon mal etwas lauter wird, kompensiert er dies doch erfolgreich mit meisterhaftem Können: ist er zugegen, wird zumeist asiatisch Angehauchtes im Großfamilienformat aufgekocht, denn Fischsaucen, Glasnudeln, Curry, Koriander, Mangos, Avocados, junge Zwiebeln, Honigdressings, Ingwer, Sternanis, Sesam und Algenblätter gehören zu seinen Lieblingszutaten. Aber nicht nur dadurch besticht die WG, ich genieße auch den Luxus eines gegenüberliegenden Gewässers und der es umgebenden Grün/Grauzone, die ich oft an schönen Sonnentagen und -abenden zum Flanieren und Reflektieren aufsuche.

Donnerstag, 17. März 2011

Recursive

Breath.
Breath till the heavy air loaded with glistening blades tears apart your agonized mind.
Dance.
Dance till the last drop disperses sputteringly in the suffocating mist of your vitriolic aura.
Live.
Live the life of a free soul liberated from the grievous sentiments tantalizing mankind.

Sonntag, 13. März 2011

12 Stunden

Über Nacht
ward's gescheh'n
aus leisem Flüstern
ward offenes Gestehen

Über Nacht
ward's gescheh'n
aus schüchterner Hoffnung
ward erlösende Gewissheit
ward bittersüße Vergangenheit?

Samstag, 5. März 2011

Permutativ

Diesmal.
Ein Mal -
Das erste Mal.
Einmal ist keinmal?

Ein einziges Mal?

Zweimal!

Merkmal - Denkmal, Denkmäler, Grabmäler - Muttermäler?
Wundmale sind Mahnmäler. Denk mal. Nach. Merk's mal.

Dreimal... Schandmal:
Schlamassel, Schla-massel, von: hebr. masál, mazl: das Glück.
Vermasselt.

Mittwoch, 2. März 2011

Morphing

1. März, Nebel, 3 Grad Plus. Die Votivkirchturmuhr schlägt acht Mal und ein halbes mehr: Zeit, seinen Blick weg vom Fenster auf den Tisch zu lenken, den Kugelschreiber zu zücken und wie so oft, aber schon lange nicht mehr seine Matrikelnummer, Studienkennzahl und den Namen auf die vorgeschriebene Stelle des Prüfungsbogens zu setzen: ja, ich habe mich vier Tage zuvor für eine Klausur in einem Teilgebiet der Geographie angemeldet und die letzten Zeit kaum einen Schritt vor die Haustür gesetzt, die Gehirnwindungen durchtränkt mit dem Stoff, den ich vor zwei Jahren präsentiert bekam und den ich nun aus den alten Folien, Skripten und Prüfungsfragen wieder zu lernen begann - kein Problem, diese Wissenschaft beschäftigt sich mit Material, das nicht nur heute oder vor 2 Jahren, sondern auch schon vor 2 Milliarden Jahren existierte, mit den daraus gebildeten Formen, die auf zeitlosen Prozessen beruhen. Es ist vor allem eine Vokabelübung: Deflation, Abflussganglinie, Interzeption, Anatexis, Grus, Palsa - nie bin ich zuvor mit diesen Begriffen in Kontakt gekommen, es ist ein Eintauchen in eine fremde Welt, die doch überall um uns herum ist, unbenannt. Die Immersion zeigte sich schnell als die gesuchte, gewünschte gedankliche Beschäftigung, als die herbeigesehnte Ablenkung, die ihren Höhepunkt nur im Geprüftwerden finden konnte: die vollkommene Zuwendung zur einen und gleichzeitige Abwendung vom anderen war elektrisierend, adrenalisierend: es fließt wieder Blut in meinen Lebensadern.