Morphing
1. März, Nebel, 3 Grad Plus. Die Votivkirchturmuhr schlägt acht Mal und ein halbes mehr: Zeit, seinen Blick weg vom Fenster auf den Tisch zu lenken, den Kugelschreiber zu zücken und wie so oft, aber schon lange nicht mehr seine Matrikelnummer, Studienkennzahl und den Namen auf die vorgeschriebene Stelle des Prüfungsbogens zu setzen: ja, ich habe mich vier Tage zuvor für eine Klausur in einem Teilgebiet der Geographie angemeldet und die letzten Zeit kaum einen Schritt vor die Haustür gesetzt, die Gehirnwindungen durchtränkt mit dem Stoff, den ich vor zwei Jahren präsentiert bekam und den ich nun aus den alten Folien, Skripten und Prüfungsfragen wieder zu lernen begann - kein Problem, diese Wissenschaft beschäftigt sich mit Material, das nicht nur heute oder vor 2 Jahren, sondern auch schon vor 2 Milliarden Jahren existierte, mit den daraus gebildeten Formen, die auf zeitlosen Prozessen beruhen. Es ist vor allem eine Vokabelübung: Deflation, Abflussganglinie, Interzeption, Anatexis, Grus, Palsa - nie bin ich zuvor mit diesen Begriffen in Kontakt gekommen, es ist ein Eintauchen in eine fremde Welt, die doch überall um uns herum ist, unbenannt. Die Immersion zeigte sich schnell als die gesuchte, gewünschte gedankliche Beschäftigung, als die herbeigesehnte Ablenkung, die ihren Höhepunkt nur im Geprüftwerden finden konnte: die vollkommene Zuwendung zur einen und gleichzeitige Abwendung vom anderen war elektrisierend, adrenalisierend: es fließt wieder Blut in meinen Lebensadern.
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