Hier und dort
Was war anders, damals und jetzt, frage ich mich. Damals kam ich in ein fremdes Land, von größerer kultureller Distanz zur Heimat als das hiesige, fühlte mich fremd, doch akzeptierte die Fremdheit als gegeben. In Tansania läuft so vieles ganz anders als zuhause und doch waren Veränderungen im Verhalten, in Gewohnheiten oder Ernährung nur natürlich und komplikationsfrei. In Tansania gab es genauso wenig Milchprodukte wie Bäckereien hier. Dort akzeptierte ich es als gegeben und aß Mangos oder Passionsfrüchte, hier schüttele ich den Kopf verständnislos und bemängele den Mangel, statt die lokalen Spezialitäten schätzen zu lernen. Heute sah ich in der U-Bahn ein frischverliebtes Pärchen. Beide in vollkommen schwarzes Leder gekleidet lehnten sie in einer Ecke des Waggons, sahen sich immer wieder lächelnd und verliebt an, er küsste im 10-Sekunden-Abstand ihre Augenlider, ihre Stirn, ihre roten Haare, die geflochtenen Zöpfchen, während sie glücklich zurücklächelte, doch ich dachte nur: in Tansania wäre es undenkbar gewesen, sich in aller Öffentlichkeit so zu benehmen und doch störte es mich nicht, wurde es wortlos akzeptiert. Hier kann man sich ungeniert und ungestört benehmen wie man möchte, und doch stört mich so ungemein, dass es viele Dinge, die mir von zuhause als natürlich erscheinen, hier explizit angefordert werden müssen, dass man aktiv nach etwas verlangen oder betteln muss, was man begehrt, da man es sonst nicht erhält. Service und Dienst am Kunden sind hier unbekannte, leere Worte. So viele Dinge waren in Tansania ähnlich unangenehm oder unverständlich, doch fügte man sich den Gegebenheiten. Hier aber protestiert mein Inneres vehement gegen die landestypischen Traditionen. Warum so unfair?
2 Comments:
Vielleicht, weil eurozentrisch denkende Menschen in Afrika insgeheim selbstverständlich keine "Zivilisation" erwarten, sie in Europa aber unbewußt voraussetzen.
Kann man Deine Beschreibungen so deuten, daß es innerhalb Europas ein Nord-Südgefälle gibt? Ob das auch mit kultureller, evtl. sogar religiöser Prägung zu tun hat? Immerhin ist der europäische Norden bei weitem mehrheitlich protestantisch, der Süden bei weitem mehrheitlich katholisch.
Zu ersterem: kann ich nicht ganz zustimmen; ich denke da mehr beispielsweise Wartezeiten bei Amtswegen, öffentliche Benimmvorschriften und Traditionen (gibt es in beiden Ländern/Kontinenten).
Zu zweitere: an ein religös bedingtes Nord-Sued-Gefälle habe ich noch nicht gedacht, ist aber ein interessanter Gedanke. Koenntest du den noch etwas ausfuehren? Ich bin mir im Unklaren, auf welche Faktoren diese Art der Prägung einen Einfluss haben koennte.
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