Jeden Tag geht die Sonne um 2-3 Minuten später auf und früher unter. Das sind 5 Minuten pro Tag und eine halbe Stunde pro Woche weniger Sonneneinstrahlung. Die Tage werden merklich kürzer. Der ausländische Anteil meiner Arbeitskollegen versicherte mir, einen Schweden gibt es in zwei Varianten, den Sommertyp und den Wintertyp. Im Winter ist der Schwede depressiv, verschlossen, zurückhaltend, unglücklich; im Sommer unternehmungslustig, lebensfroh, extrovertiert und fröhlich. Keine Jahreszeit kann den Schweden aber ändern, wenn es um Freundschaft geht. Der gemeine Schwede, so die Ausländer, findet seine Freunde in zwei Lebensperioden: während der Schulzeit und während des Militärdienstes. Hier werden starke Bande geknüpft, die ein Leben lang halten. Danach passiere nichts mehr, so die Ausländer. (Tatsächlich waren die eingeladenen Freunde bei den Grillparties im September immer Schulfreunde oder Freunde, die die Gastgeber während ihrer Grundausbildung bei der Armee kennenlernten.)
Weiters, so die ausländischen Kollegen, separiert sich der Schwede gerne von Ausländern. Englisch ist bei uns nicht die Arbeitssprache, so wie ich es bisher gewohnt war, sondern die Sprache, in der man mit Ausländern spricht. Untereinander wird Schwedisch gesprochen, selbst wenn mehrere Ausländer anwesend sind, zum Beispiel beim Mittagessen. Kommt einem reichlich unhöflich vor? Willkommen in Schweden.
Auch kennt der Schwede keinen Kundendienst, sagte man mir. Leider kann ich dies bestätigen. Als ich noch ein Zimmer hier suchte, fragte ich unsere Sekretärin per Email, ob interne Emails über freie Wohnungen von Arbeitskollegen kursieren, die Nachmieter suchen, so wie ich es von zuhause kenne. Nein, sagte sie. Nachdem ich hier angekommen war, erfuhr ich von einem Kollegen, dass es so etwas in der Tat nicht gibt, allerdings hätte sie ein institutsinternes Email aussenden können, das besagt, dass ich ein neuer Student und auf Wohnungssuche bin, vielleicht wüsste jemand ja etwas. Diese Option hatte sie aber nicht erwähnt - typisch Schwedisch, sagen die Ausländer: sie geben nur so viel Information weiter, wie offensichtlich verlangt wurde. Das gleiche bei der Post. Ich erhielt eine Benachrichtigung, dass ein Paket aus Österreich für mich zum Abholen bereitlag. Als ich der Aufforderung nachkommen wollte, verlangte man von mir einen schwedischen Ausweis. Da ich keinen habe, zeigte den Reisepass her. Nein, wird nicht akzeptiert. Das heißt, ich kann mein Paket mit meinem Reisepass nicht abholen? Nein, das geht nicht. Etwas später erfuhr ich von einem Kollegen, dass es sehr wohl geht - man nimmt einfach einen Schweden mit auf die Post, der natürlich einen schwedischen Ausweis besitzt, und holt das Paket mit dessen Ausweis ab. Klappte dann auch wunderbar für mich, aber warum konnte der Postbeamte mir das nicht gleich sagen, sondern musste mich daran verzweifeln lassen, dass ich ein an mich adressiertes Paket nicht einmal mit einem Reisepass abholen kann, der mich doch überall auf der Welt eindeutig ausweist? Weil ich nicht danach gefragt hatte, lautet die offensichtliche Antwort.
Abgesehen davon ein paar persönliche Beobachtungen: in Schweden werden beim Begrüßen keine Hände geschüttelt und es sieht seltsam aus, wenn einer (ich) dem anderen die Hand entgegenstreckt, dieser aber nicht reagiert. Schweden sind nicht alle groß und blond, aber alle schwedischen Kinder sind weißblond. Schweden ist kinderreich, es gibt keine Ampel, an der nicht mindestens 2 Kinderwägen auf das Grün warten, kein Wochenende, an dem die Geschäfte nicht voll mit jungen schwedischen Familien sind. Schweden lieben Kaffee, Fleischbällchen und ungemein süße Torten mit viel Creme. Schwedische Supermärkte haben Montag bis Sonntag 7-22 Uhr offen, wann soll man denn sonst als arbeitender Mensch einkaufen, ist die Reaktion auf meine Überraschung. Kleidergeschäfte sind Sonntags voll mit kauflustigen jungen Menschen (und deren weißblonden Kindern). Es gibt keine Bäckereien. Ein Hot Dog, wie ich es kenne, heißt hier French Hot Dog und besteht aus einem Weißbrot, das noch nie ein Baguette gesehen hat, sowie einer Wurst, die der Ansicht ist, dass Mehl eine bessere Füllung darstellt als Fleisch. Außerdem, zwar kein Essen, aber für das Überleben ungemein wichtig: das
Jantelagen.