Donnerstag, 23. Dezember 2010

Ensam

Das Schwedische unterscheidet nicht zwischen auferlegter und selbstgewählter Einsamkeit wie im Deutschen (einsam vs. allein) oder im Englischen (lonely vs. alone).
Ich bin umgezogen, und zwar in eine Wohnsituation, die mir nun das erste Mal in meinem Leben begegnet ist: ich wohne alleine. Fast 20 Jahre lang wohnte ich wohlbehütet im elterlichen Hause, zog danach in ein vielbevölkertes Studentenheim und teilte das Zimmer mit verschiedenen Gleich- oder weniger Gleichgesinnten, zog in meine erste Wohngemeinschaft, in die zweite, in die dritte, zog zu zweit in der Ferne in ein Haus, zu zweit zurück in eine Wohngemeinschaft, zog nach Schweden in die Wohnung einer Familie, zog in das Haus einer weiteren Familie: doch nun bin ich in eine kleine, 31-Quadratmeter-Wohnung ohne Familie, Mitbewohner oder Haustier übersiedelt. Zwei Schlüsselsets wurden mir in die Hand gedrückt, eines für mich und eines für den imaginären Partner, der normalerweise eine solche Unterkunft mitbeziehen und das breite Bett teilen würde, denn bei den hiesigen Wohnungspreisen sind 31 qm Luxus für eine alleinstehende Person. Die Wohnung ist geräumig, sauber, gut eingerichtet, hell, ruhig gelegen mit Ausblick auf - im Moment - viel Schnee. Wenn ich die Wohnungstür schließe, bin ich allein mit mir selbst: eine Premiere in meinem Leben. Ich singe, wenn ich koche, rede mit den Töpfen, wenn das Schweigen überlaut wird, sitze auf dem breiten, roten Ledersofa, blicke um mich und wundere mich: Stille, wenn ich kein Geräusch mache. Wirklich keiner da.
Ich kann die Heizung aufdrehen, wie ich möchte, Kleidungsstücke dort stapeln, wo es mir gefällt, niemanden kümmert es, welche Musik ich höre. Ich sitze auf dem breiten, roten Ledersofa und warte darauf, dass sich die Badezimmertür öffnet und jemand zu mir sagt: wo ist das Shampoo, aber es passiert nicht. Das Shampoo ist dort, wo ich es das letzte Mal abgestellt habe, niemand wird es benutzen und danach woanders ablegen. Alle Dinge, die in der Wohnung an einem bestimmten Ort liegen, habe ich selbst dort platziert und keiner sonst. Niemand wird mich fragen, wie war dein Tag, was essen wir heute abend oder was machst du morgen; niemandem habe ich Rechenschaft zu leisten, warum ich gestern so spät und heute so früh nachhause gekommen bin. Jag är ensam.


Dienstag, 21. Dezember 2010

Wortschatzerweiterung: Quire

Die erste schwedische Person, die ich kennenlernte, brachte mich an meinem ersten Abend in Schweden in Kontakt mit etwas, das mir hierzulande fast wie ein Volkssport vorkommt: ich besuchte eine Kirche, in der ihre Mutter gerade in ihrer Funktion als Chorleiterin einen Kurs führte. Singen ist hier ein Ausdruck der Freude, der Trauer, der Erheiterung oder der Besinnung und jeder tut es. Zur Allerheiligen-Feier wurde ich in eine von vielen Kirchen eingeladen, wo nordische Chorgesänge den Feiertag untermalten. Am 13. Dezember feiert man hier St. Lucia anlässlich der vielen dunklen Stunden in diesem Land - ebenfalls mit Chören aller Schulen der Stadt, aufgeführt in den zahlreichen Kirchen und Konzertsälen. Dieser Feiertag ist so wichtig, dass selbst in allen Arbeitsstellen ein jugendlicher Chor angemietet wird, der in einer Prozession aus Mädchen und Buben, weiß gekleidet und schwedische Volks- oder Weihnachtslieder singend, durch das Gebäude zieht, begleitet von schwedischem Glühwein, Ingwerkeksen und Safrangebäck. Zur betrieblichen Weihnachtsfeier letzte Woche bekam jeder Gast zum Essen einen Stapel aus internationalen Weihnachtsliedern, so dass nach jedem Gang aus voller Kehle und vollem Herzen mitgesungen werden konnte (und auch wurde). Zudem trat zur Krönung der Feier ein Chor aus Professoren des Instituts auf, der allerdings dem Lucia-Chor das Wasser nicht reichen konnte; man singt also nicht unbedingt gut, aber auf jeden Fall gern und voller Freude.

Freitag, 17. Dezember 2010

Hier und dort

Was war anders, damals und jetzt, frage ich mich. Damals kam ich in ein fremdes Land, von größerer kultureller Distanz zur Heimat als das hiesige, fühlte mich fremd, doch akzeptierte die Fremdheit als gegeben. In Tansania läuft so vieles ganz anders als zuhause und doch waren Veränderungen im Verhalten, in Gewohnheiten oder Ernährung nur natürlich und komplikationsfrei. In Tansania gab es genauso wenig Milchprodukte wie Bäckereien hier. Dort akzeptierte ich es als gegeben und aß Mangos oder Passionsfrüchte, hier schüttele ich den Kopf verständnislos und bemängele den Mangel, statt die lokalen Spezialitäten schätzen zu lernen. Heute sah ich in der U-Bahn ein frischverliebtes Pärchen. Beide in vollkommen schwarzes Leder gekleidet lehnten sie in einer Ecke des Waggons, sahen sich immer wieder lächelnd und verliebt an, er küsste im 10-Sekunden-Abstand ihre Augenlider, ihre Stirn, ihre roten Haare, die geflochtenen Zöpfchen, während sie glücklich zurücklächelte, doch ich dachte nur: in Tansania wäre es undenkbar gewesen, sich in aller Öffentlichkeit so zu benehmen und doch störte es mich nicht, wurde es wortlos akzeptiert. Hier kann man sich ungeniert und ungestört benehmen wie man möchte, und doch stört mich so ungemein, dass es viele Dinge, die mir von zuhause als natürlich erscheinen, hier explizit angefordert werden müssen, dass man aktiv nach etwas verlangen oder betteln muss, was man begehrt, da man es sonst nicht erhält. Service und Dienst am Kunden sind hier unbekannte, leere Worte. So viele Dinge waren in Tansania ähnlich unangenehm oder unverständlich, doch fügte man sich den Gegebenheiten. Hier aber protestiert mein Inneres vehement gegen die landestypischen Traditionen. Warum so unfair?

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Ohne Worte




Mittwoch, 15. Dezember 2010

Einkaufen und Preisvergleiche

Wie zu erwarten, ist hier eigentlich fast alles teurer als gewohnt. Zum Preis für ein dreimonatiges Studententicket könnte ich zuhause ein Jahr lang öffentlich unterwegs sein. Unter 1,30 € bekommt man kein Mineralwasser. Das hier, ja genau, dieses mickrige Brötchen mit einer Scheibe gepresstem Schinken und 0815-Käse kostet 4 €.



Das war es aber auch schon, was die Kategorie "belegte Brötchen" angeht. Wenn ich an die Variation denke, die ich zuhause bei unzählig verschiedenen Bäckereien habe, Semmel mit Schnitzel, mit Salami, mit Schinken, mit Prosciutto, mit Speck, mit Gemüse und Sprossen, mit Aufstrich, mit Mozarella und Tomaten, mit Ei - kein Vergleich. Hierzulande gibt es ja nicht einmal Bäckereien oder Metzger.
Selbst in größeren Supermärkten muss man mit spannenden Preisen rechnen. Dabei wird das meiste nicht einmal mehr frisch zubereitet. Theke für Aufschnitt? Überflüssig. Eine eigene Bedienung für Brotwunsch? Wer braucht das schon. Käse, Schinken gibt es eingeschweißt in praktische Packungen. Brot wird in Selbstbedienung vom Regal weggekauft, die Auswahl ist ... reden wir lieber nicht darüber. Wovon gibt es also viel?
Lakritz. Offenbar liebt man hier Lakritz, und das in allen Formen und Varianten, das Süßigkeitenregal ist voll damit.
Joghurt. Das Joghurt-Regal ist immens, so weit das Auge reicht. Jeder Geschmack wird hier bedient: mit Himbeer, mit Blaubeer, mit Himbeer und Blaubeer, mit Erdbeer, mit Himbeer und Erdbeer, mit Waldbeeren, mit Passionsfrüchten, Ananas, Mango usw. Und dann das ganze Programm nochmal mit Vanille. Nicht zu vergessen: Lakritz-Trinkjoghurt.
Butter. Butter und Margarine gibt es in allen möglichen Mengen, interessanterweise fast ausschließlich "leicht gesalzen", "normal gesalzen" und "stark gesalzen". Salzlose Butter ist rar und wird praktisch nicht benutzt.
Milch. Milch ist das A und O beim Frühstück. Und zwar so etwas wie Sauermilch. Auch hier wird jeder Geschmack bedient. Dafür mangelt es an Kakaomilch. Während ich zuhause von mindestens 5 verschiedenen Anbietern über 7 verschiedene Kakaos kennen und schätzen lernte, gibt es hier nur eine Firma und die schmeckt abscheulich.
Wer günstig leben will, kauft sich Sesam. Ein halbes Kilo einwandfreien Sesam gibt es für knapp einen Euro. Ein Traumpreis für Sesamliebhaber, von dem Österreicher nur träumen können. Außerdem kann man in die Oper gehen. Stehplätze existieren nicht, aber für gute 6 € kann man einen Hörplatz ergattern, der entgegen meiner Erwartung nicht nur zum Hören ist - man sieht je nach Glück bis zu 100% von der Bühne, mindestens aber eine Seite der Bühne und kann dabei auch noch sitzen.
Und auch das hier kostet nur ein Viertel des österreichischen Preises:


Sonntag, 5. Dezember 2010

Bio

Ich beschloss, ins Kino zu gehen und suchte den größten Kinosaal der Stadt auf. Hierzulande kauft man Tickets üblicherweise nicht bei einem Schalter, sondern online oder bei einem der zahlreichen sogenannten "Biomaten" in der Kassahalle - im Prinzip ein Touchscreen, auf welchem man sehr einfach Tickets für alle möglichen Vorstellungen in nahen oder auch ferneren Zukunft buchen kann. Für meine gewünschte Vorstellung waren noch 3 Plätze frei, ich wählte einen davon und wollte bezahlen - fehlgeschlagen. Der Biomat nimmt nur schwedische Kreditkarten an, bar zahlen kann man nicht. Also wandte ich mich an den einzigen geöffneten Schalter:

- Gibt es noch Karten für die Abendvorstellung?
- 17:45 oder 21:00?
- 17:45.
- Da ist schon alles voll.
- Aber... am Biomat waren noch 3 Plätze frei?
- Nein, ist schon alles voll. Auf Wiedersehen.

Ich verließ die Kassahalle deprimiert. Sollte der Höhepunkt meines Wochenendes tatsächlich ausfallen? Dann überlegte ich: vielleicht war mein Sitz allein durch das Auswählen am Biomaten im System als gebucht markiert worden, fälschlicherweise? Ich ging zurück zum Biomaten und machte eine neue Anfrage. Kein Problem - noch 3 Plätze verfügbar, darunter der von mir anfangs gewählte. Ich wandte mich zum Schalter, der Kartenverkäufer war weg, stattdessen eine Kartenverkäuferin:

- Gibt es noch Karten für die Abendvorstellung?
- Ja, um 21:00.
- Und 17:45?
- Da ist alles schon voll.
- Aber... am Biomat konnte ich noch Plätze dafür buchen.
- Nein, um 17:45 gibt es keine Plätze mehr.
- Aber am Biomat kann ich einen freien Platz im Balkon in der Reihe vier sehen.
- Einen Moment. *klickklick* Ja, der Platz ist noch frei. Achso, du willst nur eine Karte?
...

Samstag, 4. Dezember 2010

Vier letzte Bilder

Die wunderschöne, märchenhafte Umgebung mit der frischen Luft werde ich jedenfalls vermissen:




Die makrobiotische Küche war eine spannende Erfahrung, aber ich denke nicht, dass ich an einem der angebotenen Samstagkurse (Kostenpunkt ca. 40 Euro) teilnehmen werde:



Aufmerksamkeiten und Erinnerungen haben meine Schreibtischunterlage die letzten zwei Monate dekoriert:



Das kleine Mädchen verabschiedet sich vom Vogel und zieht in eine 16 km südlicher gelegene Mini-Wohnung im dritten Stock mit sieben-ziffriger Nummer und Blick auf die Arbeitsstelle.

Freitag, 3. Dezember 2010

Schwarzer Schimmel und Schweiss

Mein abschließender Beitrag zu dieser Serie stimmt ebenso wenig versöhnlich wie der letzte und gilt einem Raum, dem ich bisher in Wohnungen selten bis gar nicht begegnet bin: der Waschküche. Im Haus der japanischen Mutter bildet dieser Raum ein "L", wobei in einem Schenkel die tatsächliche Waschküche und im anderen die Dusche ist, die ich benutzen darf. Die Waschküche ist Standort der Waschmaschine, Sammelort für schmutzige Wäsche, Ort des Wäschetrocknens im Winter und auch jener Ort, an dem sich die beim Duschen entstehende Feuchtigkeit anhäuft, denn Fenster besitzt dieser Raum keine und die Türe zum Rest des Erdgeschoßes ist üblicherweise zu. Dementsprechend dick atmet sich die Luft, wenn ich abends den Raum betrete, um unter die Dusche zu gehen. Eiskalte Feuchtigkeit kriecht die Atemröhre hinunter, begleitet von starkem Schweißgeruch heranwachsender Männer, die ihre verschwitzten Sportsachen am Boden zurücklassen, von wo sie meistens von Mutterhand in eine Plastiktonne befördert werden, um auf den nächsten Waschgang zu warten. Und da taucht auch schon der erste Problemfall auf: wenn drei Kinder permanent schmutzige Wäsche in der Gegend herumwerfen und eine Mutter 200% am Tag mit anderen Dingen beschäftigt ist, dann ähnelt der Boden schnell einem H&M-Geschäft in der Ausverkaufszeit. Zu den schmutzigen Teilen gesellen sich häufig auch bereits gewaschene Socken und Unterhosen, die den weiten Weg aus der Waschmaschine auf die Wäscheleine nicht geschafft haben und nun vernachlässigt anderthalb Meter zu tief auf den trockenen Zustand hoffen müssen. Aber immerhin: früher oder später werden sie trocknen, im Gegensatz zur Gummidichtung der Waschmaschinentür; sie hat das charakteristische Aussehen eines Objekts, das nie in Verlegenheit kommt, zu trocknen.


Donnerstag, 2. Dezember 2010

Selbstwahrnehmung und Sündenböcke

Es ist eine Kunst, sich selbst mit den Augen eines anderen zu betrachten. Meine japanische Gastmutter beherrscht diese Fähigkeit leider zur Gänze nicht. Sehen wir uns mal folgendes Beispiel an:


Wir betrachten ein Vorzimmer, das seit 1,5 Tagen nicht verändert wurde. Jemand kam nachhause, warf seine Siebensachen wortwörtlich von sich und ging computerspielen, essen, schlafen, was auch immer. Die übrige Hausbevölkerung kümmert der seitdem unveränderte Zustand nur wenig. Dass sich ein Teil der Kleidung vor dem Eingang ins WC (links) befindet und somit das Türöffnen erschwert, scheint auch nur mich zu stören. Setzen wir dies in Kontrast zu den Gesprächen, die ich etwa einmal die Woche am Abendtisch mit der Mutter führe. Hierbei geht es meistens um Benehmen, Verhalten und Gewohnheiten. Sie ist offenbar der Meinung, dass ich relativ gut erzogen bin und setzt dies in Gegensatz zu Menschen, die a) bei Tisch nicht mit jemandem reden, b) keinen Kommentar zur Güte des Essens abgeben, c) sich nicht für Essen bedanken, d) vom Tisch aufstehen, ehe die anderen fertiggegessen haben, e) Energieverschwendung betreiben, indem sie die Heizung nie ausschalten, f) das Badezimmer in unordentlichem Zustand hinterlassen, g) ihre Kleidung auf dem Boden verteilen, statt sie ordentlich aufzuhängen, h) Dreck hinterlassen, den sie nicht wegräumen, i) Klopapier unkoordiniert auf den Boden werfen. Im Falle von a) - f) beschwert sie sich eindeutig über die andere, 16-jährige, schwedische Untermieterin, die Kritik in g) - i) trifft ihre schwedischen Schüler am Gymnasium, wo sie unterrichtet, während ich bei a), d) sowie f) - i) eher an sie bzw. ihre Kinder gedacht hätte. Wenn ich sie darauf anspreche, z.B. dass ihre Kinder vom Tisch aufstehen, sobald sie das Essen verschlungen haben, dann schüttelt sie mit krauser Stirn den Kopf und schiebt alles auf den schwedischen Ex-Mann und Vater, der gegen Tischmanieren und Kindererziehung gewesen sein soll, sowie angeblich alle Schweden keine großen Anhänger davon sind. Jeder mag das folgende gemäß seinen eigenen Einstellungen beurteilen: auch wenn der jüngste Sohn äußerlich behindert wirkt, deutet für mich persönlich (!) die Tatsache, dass er einwandfrei sportlichen Wettbewerben nachgehen, Schwedisch, Japanisch und Englisch sprechen sowie lesen und Blockflöte spielen kann, darauf hin, dass es durchaus möglich ist, ihm beizubringen, Nahrung eine Spur eleganter in den Mund zu schaufeln, beim Kauen den Mund zu schließen und einen gewissen Geräuschpegel dabei einzuhalten. Die Mutter sieht die Probleme, schiebt sie aber auf den Vater: er legte keinen Wert darauf, so wie alle Schweden, und sie muss nun damit umgehen.
Einmal erklärte ich ihr nach einem Spieleabend und ihrer Nachfrage, was wir denn die ganze Zeit getrieben hätten, die Idee von Brett- und Gesellschaftsspielen; das Konzept war ihr unbekannt, gefiel ihr aber sofort: nicht am Computer, sozial, kreativ, interaktiv, unterhaltsam. Nur leider habe sie dafür keine Zeit mit ihren Kindern, da sie so sehr mit dem Haushalt, dem Waschen und Putzen beschäftigt sei, Kinder sind nun einmal aufwändig. Ich stimme ihr im letzten Punkt zu, allerdings ist es äußerst bedauerlich, dass ich in den zwei Monaten Untermiete bei ihr nie den Teil des Hauses zu Gesicht bekommen habe, den sie angeblich sauberhält.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Solitude


... wenn man morgens bei -10°C seinen ersten, knarzenden Schritt auf solide Schneemasse macht, auf die komplett schneebedeckte Landschaft hinausschaut und beim Einatmen das Gefühl hat, die Eiszäpfchen klirren zu hören, die scheinbar von jedem Nasenhaar hängen;
... wenn man die Variante Bus-Bahn-Bus nimmt, weil der im Herbst so erfreuende Waldweg im Winter zu dunkel, unsicher und rutschig ist, und dabei 15 Minuten durch nie enden wollende, verschneite Landschaft braust und die gerade aufgehende, rötliche Sonne durch die Nadelwälder kriecht, Strahl für Strahl;
... wenn der Bus sich durch den dichten Nebel kämpft, während die Sonne, von einem Kranz aus Wolken am Horizont verborgen selbige von unten anleuchtet, sodass sie einen golden schimmernden Rand bekommen;
... wenn der gemütliche Linienbus auf die Autobahn auffährt, plötzlich auf 90, 100, 110 km/h beschleunigt und zu einem ausgewachsenen Langstreckenbus heranreift, der dann unerwartet auf der vierspurigen Straße stehenbleibt, weil hier eine Haltestelle ist;
... wenn man eine Freude daran hat, hinter der Haltestelle die gleichen Äpfel wie im Herbst zu entdecken, nur mit einem Schneemützchen dekoriert;
... wenn der Boden abends beim Heimweg einen an Aschenputtel erinnert, weil alles über und über mit im Lampenlicht glitzernden Schneekristallen bedeckt ist;
... wenn man die lange Fahrtzeit in die Arbeit dazu benutzen kann, in Erinnerungen zu schwelgen, Gedanken zu wälzen oder Blogeinträge zu verfassen;

... dann könnte man darüber nachdenken, ob man wirklich von diesem Ort wegziehen möchte.