Dienstag, 30. November 2010

Sitten und Unsitten

Heute machen wir es ganz kurz. Was für Schlüsse kann man aus folgendem Bild ziehen?


Genau. Die Person, die das WC soeben benutzt hat, ist nicht die gleiche wie die, die es einmal pro Woche putzt.

Denn sonst würde sie ihr Geschäft nicht im Stehen verrichten. Jeder, der schon einmal ein WC geputzt hat, weiß darüber Bescheid, welch abenteuerliche Geruchswelten beschritten werden, wenn Männer zu faul sind, um sich hinzusetzen. Die Person, die im Stehen arbeitet, ist möglicherweise auch nicht genauestens darüber informiert, wie das Abrollen von Klopapier funktioniert, sonst würde ich nicht immer wieder mehrere Meter Papier am Boden verstreut finden, die natürlich keiner außer mir wegräumt. Diese Person ist aber nicht die gleiche, die Tampon-Plastikhülsen am Boden liegenlässt, das kann ich mit Sicherheit vermuten. Wer von den genannten Personen für die regelmäßigen, ungut aussehenden Schleimspuren auf den Armaturen oder im Waschbecken verantwortlich ist, die natürlich auch keiner außer mir entfernt, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Auf jeden Fall bin ich kein besonders häufiger Gast in diesem Raum, sofern es sich vermeiden lässt.

Montag, 29. November 2010

Sparen

Dass eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, von denen eines in den Vereinigten Staaten wohnt und immense Studiengebühren bezahlt, sparen muss, leuchtet mir ein. In Schweden zu sparen ist leider nicht so einfach. Wohnfläche ist teuer, Lebensmittel sind teuer, Energie ist teuer. Demnach muss man an allen Ecken und Enden zurückstecken.
Untermieter sind ein willkommenes Mittel zur Reduzierung der eigenen Kosten. Meine Vermietern hat gleich zwei - mich und eine schwedische Schülerin, dafür hat sie auf ihr eigenes Zimmer verzichtet und teilt sich ein Stockbett mit ihrem jüngsten Sohn (14 Jahre). Wir zahlen (meiner Meinung nach) Wucherpreise, die sie geschickt hinter der Ansage, Halbpension sei in der Miete inkludiert und Lebensmittel in Schweden nun einmal so teuer, verbirgt.

Wozu heizen, wenn es Kleidung und Decken gibt. Die ganze Familie sitzt eingehüllt in dicke Bettdecken vor dem Videospiel oder einem Buch. Nur in meinem Zimmer hat es, wenn ich nachhause komme, bereits 13 Grad, weil mir gestattet wurde, eine meiner beiden Heizungen tagsüber laufen zu lassen. 13 Grad fühlen sich nach dem Aufenthalt im Vorzimmer warm an und mithilfe der zweiten E-Heizung hat es dann eine Stunde später schon 18 Grad.

Zu den Hauptnahrungsmitteln zählen Reis, Karotten, Pastinaken, Kraut und Zwiebeln - Gemüse, das nicht allzu teuer ist und das man in großem Mengen kaufen kann, da es lange hält. Hatte es für mich anfangs noch mit opulentem Frühstück angefangen, sieht das Morgenmahl inzwischen für mich immer wieder so aus:


Genau - den im letzten Beitrag bezeichneten Tee, dazu das selbstgebackene Roggenbrot und ein Sesampaste-Aufstrich. Weit gefehlt von der in der Zimmeranzeige angesprochenen Miso-Suppe, dazu Gemüse und Reis.

Letztens fand sie in der Speisekammer in einer Ecke ein Glas mit Erdnussbutter, zerbrochen, irgendwann einmal durch mangelnde Rücksicht vom Regal gestoßen. Sparsam, wie sie ist, brachte sie das Glas in die Küche, pickte die Glasscherben langsam aus der Erdnussmasse und füllte das vermeintlich Essbare in ein neues Einmachglas. Ein Glas ökologische Erdnussbutter kostet vier Euro, zuviel, um es einfach wegzuwerfen, selbst wenn in der Zwischenzeit Staub, Insekten oder Glassplitter sich mit der Erdnussbutter vermengt haben sollten. Das war übrigens auch der Tag, an dem ich beim Frühstück von Erdnussbutter auf Sesampaste umstieg.

Sonntag, 28. November 2010

Of Mice and Spiders

Ich war noch nie ein großer Freund von Insekten und ähnlichem Getier. Während der knapp 5 Monate auf der tropischen Insel im indischen Ozean, bei optimalen Wachstumsbedingungen für solcherlei Kriechnaturen wurde die Toleranzgrenze zig Male überschritten; das Leben mit Tausenfüßlern, Spinnen, Kakerlaken, Nachtfaltern, Ameisen und Termiten in teilweise erstaunlichen Größen war eine Herausforderung. Eigentlich hatte ich gedacht, dieses Problem mit dem Umzug in sehr nördliche Bereiche unserer Welt zumindest für die Wintermonate beseitigt zu haben. Aber nein: in meiner jetzigen Unterkunft hatte ich das Vergnügen, bis zum heutigen Tage einen Ohrenkriecher, einen Silberfisch, einen Nachtfalter und an die zehn Spinnen aus meinem Zimmer beseitigen zu müssen. Die kleinen, vernachlässigbaren Spinnen, die in jeder Zimmer-, Regal- oder sonstigen Ecke ihr kleines Netzchen weben, habe ich dabei lange nicht mitgezählt, sondern nur solche, die auf eine 2-Cent-Müne gerade noch draufpassen, kurze Beinchen und zweigliedriger dicker Körper. Wie kommt es zu einem solch seltsamen Phänomen, dass bei 0 bis -10 Grad Außentemperaturen noch so viele Tierchen unterwegs sind? Die Erklärung ist sehr einfach. Mein Zimmer schließt an einen Lagerraum, eine Art Speisekammer an, in der von Kleidung, Schuhen, Werkzeug über Kartoffel-, Kraut-, Apfel-, Zwiebelsäcke bis hin zu Nudeln, Sojasauce usw. alles mögliche gelagert wird. Gemüse und Obst ist natürlich aus biologischem (nicht Pestizid-verseuchtem) Anbau. Da mein Zimmer das bei weitem wärmste im ganzen Haus ist, wundert es daher nicht besonders, dass alle mit den Lebensmitteln immigrierten Spinnen sich auf dem Weg in meine warme Stube machen, um sich hier für immer niederzulassen, zu meinem Missfallen. Außerdem bewohnen noch zwei Mäuse den Lagerraum, die nachts sich durch die Vorräte knabbern, bis meine Vermietern dies entdeckte. Die Mäuse flüchteten in eine finstere Ecke und die angeknabberten Nudeln verschwanden in eine Plastikdose. Seitdem mache ich meine Tür immer zu, wenn ich das Zimmer verlasse. Als ob das noch nicht genug wäre, liefere ich mich etwa 2-3 Mal pro Woche einen Kampf mit einer wirklich fetten, fetten Stubenfliege, die, entweder aus Mitleid mit meiner Einsamkeit oder doch eher von Licht und Wärme in meinem Zimmer angezogen, mir stets abends Gesellschaft leisten möchte.

Samstag, 27. November 2010

Von Schüsseln und Sprossen

Noch sieben Tage bis zu meinem zweiten Umzug innerhalb Schwedens. In der Zeit bis dahin möchte ich Facetten meiner aktuellen Unterkunft 16 km nördlich der Stadt offenlegen - keineswegs ist dies eine vollständige Darstellung der Fakten, sondern nur ein Einblick.

Das Zusammen- oder mehr Nebeneinanderwohnen mit einer japanischen Familie bringt den Vorzug mit sich, einen Blick in eine fremde Kultur werfen zu können, ohne in das Land selbst einreisen und dort leben zu müssen. Ein herausragendes Zeichen japanischer Esskultur ist es, für verschiedene Speisen unterschiedliche Behälter oder Gefäße zu benutzen, was stets sehr ordentlich und niedlich wirkt. Im Küchenschrank findet sich die ganze Variation an gewellten und glatten Schüsselchen und Schälchen mit unterschiedlichsten Dimensionen und Randhöhen.


Ein herausragendes Zeichen makrobiotischer Lebensweise ist es allerdings, sich gentechnisch-frei, biologisch und möglichst naturnah zu ernähren, eine Folgerung daraus ist, dass der größte Bedarf an Lebensmitteln für die Küche entweder beim Bio-Bauern abgeholt oder selbst angepflanzt bzw. gepflückt werden sollte. So bestand beispielsweise der einzig getrunkene Tee aus japanischen Teeblättern, ergänzt durch ein Kalzium-reiches Kraut, das in der Umgebung des Hauses eigenhändig gesammelt wurde; Mehl wurde selbst gemahlen, Marmelade selbst aus Früchten hergestellt. Eine weitere Beliebtheit: das Ziehen von Sprossen oder Keimlingen. Hier habe ich die verschiedensten Baby-Pflanzen verkosten können, die mir vorher nur unter dem Namen bekannt waren (wenn überhaupt), wie z.B. Alfalfa.


Zu guter Letzt wartete die ungewohnte Küche immer mit spannenden Überraschungen auf; oft roch es im Erdgeschoss nach Kümmelbraten, geschmolzenem Käse oder Steak, doch wenn ich in die Küche im ersten Stock trat, ließ sich natürlich keines dieser Gerichte vorfinden; stattdessen hatte ich die Gelegenheit, einige ungewöhnliche vegetarische oder makrobiotische Experimente zu probieren:
- Shrimps-Champignon-Pizza ohne Käse (erstaunlich authentisch)
- Lasagne (in Tomatensauce eingeweichte Teigblätter, nicht sehr aufregend)
- Spaghetti Bolognese (authentisch gewürzt)
- Fruchtkuchen ohne Zucker (interessant, aber nicht so meines)
- div. Aufläufe mit "Sojacreme" statt Käse/Sauerrahm (interessant, sehr ungewohnt)
- Gemüse-Tempura (gut!)
- vegane Chicken-Nuggets ("interessant")
- Tofu-Burger (sehr gut)
- Reis-Pie ("interessant")

Für die Japan-Liebhaber gab es immer wieder mal Maki-ähnliche Kompositionen oder mit Lachs/Tofu gefüllte, handgeformte Reisbällchen, die bei mir immer auf Begeisterung stießen (ebenso wie alle Suppen):


Alles in allem eine interessante kulinarische Erfahrung, wenn auch die meisten Gerichte nicht nach meinem Geschmack sind, da mir ab und zu Fleisch, manchmal Eier- und Milchprodukte und eigentlich fast immer Gewürze fehlen.

Think

Wochenenden sind Stunden, ja Tage des nahezu vollkommenen Schweigens. Ich stehe auf, ich frühstücke, meist allein, weil alle schon auf und über die Berge sind. Ich säubere mein Zimmer, reinige das WC, höre Musik, benutze das Internet und lese Buchkapitel. Ich ziehe mich an, gehe hinaus, nicke wie alle dem Busfahrer zu, fahre in die Stadt. Ich wandere durch die vielbesuchten Einkaufsstraßen, suche Bücher in der Bibliothek, fahre noch mehr Bus. Ich sage: eine Karte für heute abend und bemerke, dass es meine ersten Worte des Tages sind. Ich lausche klassischen Klängen zwei Stunden lang, dann setze ich mich wieder in den Bus, fahre nachhause. Ich komme an, als das Abendessen gerade beendet wird. Ich empfange ein freundliches Nicken der japanischen Mutter, dann verschwindet die Familie vom Tisch. Ich esse. Ich kehre zurück ins Zimmer und benutze das Internet. Ich gehe ins Bett. Am nächsten Tag fast das gleiche nochmal.

Freitag, 26. November 2010

Schneeee

Die Stadt hat drei Tage keine Sonne mehr gesehen. Grau in grau, tagein, tagaus: drei Tage und Nächte schneite es ununterbrochen, dicht und unerbittlich. Erst verschwanden die Bodenmarkierungen auf den Straßen, dann die Gehsteigkanten, auf den Wegen lagerte sich Schneeschicht um Schneeschicht ab, dann auch auf den Straßen. Der Vorort, wo ich wohne, strahlte tags und nachts in glitzerndem Weiß, märchenähnlich. Heute hörte es auf und kurz nach 8 Uhr morgens flackerte ein zartes Gelb am Horizont, den Aufgang der Sonne ankündigend. Was bleibt, sind Berge von Schnee, die bei aktuellen minus 13 Grad wohl auch nicht so schnell verschwinden werden.


Nachbarhaus:



Gegenüberhaus:



Heute früh:

Donnerstag, 25. November 2010

Gossip II

Schweden haben Allergien, das kann man sich kaum vorstellen, bemäkelt ein ausländischer Kollege. Eine schwedische Kollegin in der Arbeitsstelle bestätigt es selbst: sie ist gegen alles allergisch, was einem nur einfallen kann. So ausführlich das Milchprodukte-Regal im Supermarkt ist - noch mal genauso ausführlich ist das laktosefreie Milchprodukte-Regal, auch die Weizenallergiker kommen beim Einkaufen regalweise auf ihre Kosten. Die offiziellen Stellen nehmen diese Zivilisationskrankheit ernst: im Bus hängen Schilder, dass der vordere Teil des Busses für Fahrgäste mit Allergien gedacht ist; Hundebesitzer und -mitbringer werden gebeten, sich im hinteren Teil aufzuhalten.

Mittwoch, 24. November 2010

Renommee

Damals war ich wirklich geehrt. Nach guten zwei Monaten eigener Erfahrungen komme ich nicht umhin, mich noch geehrter fühlen zu müssen als ohnehin schon. Die gesamte Umgebung versucht einem weiszumachen, dass es ein Privileg ist, hier zu studieren. Zwei Mal pro Woche hört man im (englischsprachigen) Radio eine Reportage über eine wiederholt geniale Erfindung oder Entdeckung, die an meinem Institut kürzlich gemacht wurde, immer in besonders wichtigen Gebieten wie Diabetes, Autismus, Alzheimer, Parkinson. Meine Vermieterin hat mir gegenüber schon mehrmals betont, dass es für einen schwedischen Studenten ungemein schwierig ist, in meinem Institut aufgenommen zu werden, dass man danach zur "Elite" zählen würde. Ein Kollege, ein PostDoc, berichtet mir, mit einem Abschluss von unserem Institut würde man weltweit mit offenen Armen aufgenommen werden, er selbst kenne mehrere ehemalige PhD-Studenten, die nun in Harvard forschen. Wenn ich vormittags in der Küche/Pausenraum einen Tee zubereite, kommt es häufig vor, dass eine weißhaarige, gebrechliche Dame hereinstakst, verwirrt ihr Frühstück zubereitet, langsam, als hätte sie alle Zeit der Welt. Mit ihr kann man die ungewöhnlichsten Gespräche über die Geschichte des Instituts führen, arbeitet, forscht, ja, lebt sie hier schon über 60 Jahre und hat ganz nebenbei das Immunsystem um die NK-Zellen bereichert (Molekularbiologen kennen die Bedeutung dieser Entdeckung). Letztens hieß es "pscht, pscht, der Typ hinter uns hat p53 entdeckt" - ja, auch er gehört zum Professorenstamm dieses Instituts. Womöglich passiere ich täglich noch viel mehr Größen der Wissenschaft ohne es zu bemerken. Gestern, wieder mal im Pausenraum, quatscht ein mir unbekannter Kollege dieses so berühmten Instituts mich an, nachdem er kurz seine eigene Arbeit, Rho-GTPasen in der Metastasierung, vorgestellt hat: bei wem ich den arbeiten würde. Oh! Natürlich, wer kennt deinen Professor nicht, eine Größe in der Parasitenforschung! Der letzte Vorfall machte mich endgültig skeptisch: sind all diese Menschen voll Lob und Preisung nur bezahlte Schauspieler, die mir das Leben am Institut schmackhaft machen wollen?

Donnerstag, 18. November 2010

Wo ich bin

Land der Knäckebrote...

Land der Cornflakes-Variationen...

Land der besonderen Cornflakes-Bedürfnisse...

(glutenfreie Buchweizen-Cornflakes)

Land der Milchsorten, ...

Land der Joghurts, calciumreich...


























































Mittwoch, 17. November 2010

Scheidung

Eine Trennung geht stets mit Verlusten einher. Nicht nur verliert man immaterielle Güter wie Gesellschaft, gegenseitige Unterstützung und Beratung oder Austausch, sondern jeder Partner, wie es nach einem Streit oft ist, bemüht sich ebenfalls, seine eigenen materiellen Besitztümer wieder zurück zu gewinnen. So auch bei uns. Kurz bevor ich meiner Arbeitsgruppe beigetreten bin, fand eine "divorce" (sic) zwischen meinem und dem Nachbarinstitut statt, wo jahrelang in friedlicher Eintracht Instrumente und Wissen gemeinsames Gut darstellten. Zuallererst wurden die Zugangskarten in das benachbarte Gebäude, das über unseren Korridor zu erreichen ist, gesperrt. Da unsere Arbeitsgruppe ursprünglich von beiden Instituten finanziert wurde, verschwanden über Nacht auch allerlei Gerätschaften, die vom Geld des Nachbarinstituts erworben worden waren: Kopierer, PCR-Maschinen und Zentrifugen. Arbeitskleidung, die wir für Tätigkeiten in einem bestimmten Raum benötigen, wurde nicht mehr zur Verfügung gestellt, gleichzeitig verbot man uns, wie früher unseren infektiösen Müll über ihr Abfallsystem zu entsorgen. Zwei Männer mit einem Rollwagen holten vor ein paar Tagen die -150°C-Tanks, zwei Hoods, eine Mikrowelle und weitere Zentrifugen ab. Heute wurden weiters drei Räume auf unserem Stock durch Versperren vor unserem Zugang geschützt. Unpraktischerweise handelt es sich hierbei um die Toiletten.

Montag, 15. November 2010

Wischmob in Bratislava

Sie haben ihn ersetzt, durch ein neueres Modell. Der Flughafen im Abflugsbereich ist nicht wiederzuerkennen. Bin ich doch mehrere Male von hier geflogen und sehe dennoch kein vertrautes Element. Der kleine, hässliche Souvenirshop im Erdgeschoss, an dem man nur stehenbleibt, weil es sonst nicht viel zu sehen gibt, ist weg. Die Stiegen hinauf in den 1. Stock, wo das einzige Restaurant mit konsumierbaren Gütern auf den Hunger von Billigfliegergästen wartet, ist weg. Ein neues, leuchtendes Gebäude mit glänzendem Fliesenboden, Glastüren, metallenen Fluglinienschaltern und viel Raum für nichts ersetzen Relikte von Erinnerungen, die ohnehin nicht solche sein wollen.

Sonntag, 14. November 2010

Fahrkarte ins Retrospektive

Schon von weitem kündigt sich die Stadt an, die mir letztens so vielfältige Erinnerungen bescherte. Kilometer, ehe das Stadt-, ja, Staatsgebiet, erreicht ist, leuchtet weiß vom Hügel herab auf die nachtschwarze Stadt, in der nur vereinzelt Lichtinseln blinken, die Burg - Hort zweierlei Erinnerungen, einmal Ort der Präsentation und Interaktion in jungen Jahren, ein Konzert, eine Vorstellung, ungetrübte Jugend. Die Fahrt geht weiter, vorbei am Aupark, zu viert saßen wir hier, vor nicht wenigen Jahren, tranken Kaffee, erfreuten uns der studentischen Freizeit, lachten und dachten nichts, ich ahnte nichts. Die Burg rückt näher, zu ihren Füßen umrunden wir den Burgberg, wir waren zu dritt, Ort der Ruhe, der Beobachtung, stilles Sein und Schauen von der Burgmauer, Glück und Zufriedenheit im Ewigkeitsglauben. Weiter auf der Autobahn, weg von der Stadt, am Straßenrand Werbung, schimmernde Lettern in dunkelwerdender Nacht: RAV4 - ein Auto, monatelang von größerer Bedeutung als vieles andere; eine Erinnerung an Zeit, die gefühlt Jahre her ist, eine schwierige Zeit, die einfacher nicht sein konnte, unbeschwerter, konfliktfreier. Alles liegt verlassen hinter uns, das Ziel ist nah und doch nur ein Haltepunkt auf dem Weg zu einem neuen Ziel.

Sonntag, 7. November 2010

Wenn ich...

... photographieren könnte, hätte ich statt nicht veröffentlichten schwarzen Bildern mit verschwommenen Punkten so etwas produziert. Die Stimmung war tatsächlich wie digital festgehalten unheimlich-romantisch-gemütlich, trotz der Kälte.

Samstag, 6. November 2010

Gedenken und Andenken

Überlässt man eigentlich älteren Personen im Bus den Sitzplatz, fragte ich mich seit Anbeginn meiner Zeit hier. Täglich, morgens auf dem Weg zur Arbeit, stellte ich mir diese Frage. Doch im Bus fanden sich stets zahlreiche Kinderwägen, Kinder, junge Menschen, ältere Menschen wie ich und noch etwas ältere Menschen, aber keine, die gebrechlich genug wirkten, um ihnen einen Sitzplatz anbieten zu wollen. Gibt es überhaupt ältere Leute? Verlassen sie das Haus nie? Fahren sie nicht Bus? Oder nur nicht tagsüber? Fast zwei Monate lang blieben diese Fragen unbeantwortet. Als ich mich jedoch heute Vormittag auf den Weg in die Arbeit machte, war der sonst nur mäßig gefüllte Bus dichtgepackt mit zweierlei: Senioren und Tannenzweigen. Denn heute ist Alla Helgons Dag, Allerheiligentag, und mein Bus fährt nicht nur zu meinem Institut, sondern auch zum dazugehörigen Krankenhaus sowie zum benachbarten Friedhof, der die Hauptbegrabungsstätte der Stadt darstellt. Wie zuvor angekündigt bewegten sich am heutigen Tag unglaubliche Menschenmassen durch die Stadt, morgens ältere, nachmittags jüngere, und zwar in derartigen Dimensionen, dass es jährlich zu Verkehrsstaus und Sardinenbüchsen-artigen U-Bahnfahrten kommt. Jeder ist auf den Beinen, jeder gedenkt an diesem Tag seiner Lieben und/oder Verstorbenen, jeder hat Blumen, Kerzen oder Zweige in der einen, Kinder oder Partner in der anderen Hand. Dem allgemeinen Trend folgend beschloss ich ebenfalls einen Friedhof aufzusuchen und wählte das UNESCO Weltkulturerbe "Skogskyrkogården" im Süden der Stadt, ganz nahe dem Ort, wo ich im September gewohnt habe. Gemeinsam mit einer thailändischen Kollegin froren wir uns drei Stunden durch das großzügige Areal, besichtigten bei eisblauem Himmel und sinkender Sonne Meditationsplätze, Gedenkstätten und Kapellen, nach Sonnenuntergang dann Paare, Familien und Alleinstehende, die zu den hunderten Kerzen an Grabsteinen zu Füßen dichter Nadelbäume weitere hinzufügten. Wir wurden kontemplativ und sie, die von zuhause keine Friedhöfe kennt, weil Menschen verbrannt und ihre Asche in alle Winde zerstreut wird, stellte fest, dass der Anblick der Grabsteine uns daran erinnert, wie wenig Zeit wir haben, um all die Dinge zu tun, die uns glücklich machen.



Freitag, 5. November 2010

U-Bahn-Kunst

Das hiesige Untergrundbahnsystem gleicht in ihrer Gestaltung einer umfassenden Kunstausstellung. Jede Station ist mit einem eigenen, künstlerischen Charakter ausgestattet, mal modern, mal traditionell. Besonders gut gefällt mir die Station für die Universität, auf der zahlreiche Tafeln mit aufwendig bemalten Kacheln aufgestellt sind, die unterschiedlichste Wissenschaften und deren Resultate präsentieren, von Keppler'schen Gesetzen über Sokrates' weise Sätze bis hin zu Listen botanischer Namen - aus jedem Wissensbereich scheint ein Phänomen oder eine Person gewählt worden zu sein. Die Station der technischen Hochschule glänzt beispielsweise mit 3D-Modellen von geometrischen Körpern, auf einer anderen Station kann man sich durch technische Details von Apparaten lesen oder über Gott und die Welt philosophieren, während man auf den Zug wartet.



Abgesehen davon habe ich noch keine Station gesehen, auf der man sich nicht schnell mal orientieren kann, wo Norden ist. Falls das jemand zufällig brauchen könnte.